Gastbeitrag von Dr. Michael Ritter, Stiftungsratspräsident des Liechtensteinischen Landesspitals
Einmal mehr wurde in diesem Sommer die Frage diskutiert: Braucht Liechtenstein ein eigenes Spital? Diese Frage würden andere Länder vermutlich ohne zu zögern mit einem klaren Ja beantworten. In einem kleinen Land wie Liechtenstein, das stark mit der Region verbunden ist und vieles gar nicht aus eigener Kraft leisten kann, muss dieses Thema differenziert betrachtet werden.
«Ja, aber nicht so»
Blenden wir 6 Jahre zurück: 2011 hatte die Regierung für das Landesspital einen 83-Millionen-Neubaukredit beantragt. Die Bevölkerung wies in einer Abstimmung diesen Antrag zurück. Allerdings nicht mit der Begründung, kein Spital mehr zu wollen, sondern mit einem «Ja, aber nicht so». Es ging dabei um eine durchaus emotionale und nachvollziehbare Debatte, die auch grundsätzliche Fragen über das Gesundheitswesen in Liechtenstein aufwarf. Eine Nachbefragung zeigte deutlich: Die Mehrheit der Bevölkerung ist für ein eigenes Spital. Dies jedoch unter drei Prämissen. Erstens: Höchste Qualität muss gewährleistet sein. Zweitens: Es braucht eine klare Strategie, die eine sinnvolle Kooperation einbezieht. Und drittens wurde ein sinnvolles Kosten-Nutzen-Verhältnis gefordert, kurz die Wirtschaftlichkeit medizinischer Leistungen. Auch zeigte die Befragung, dass ein gewisses Wissensdefizit über die Leistungsfähigkeit und Kompetenz der Ärzteschaft ganz allgemein vorlag. Die unterschwellige Kritik an Teilen der Ärzteschaft traf auch das Landesspital.
Gesundheit geht alle an. Deswegen reden auch alle mit. Kaum ein Unternehmen hat solche Herausforderungen zu bewältigen.
Quadratur des Kreises
Regierung und die eingesetzte Besondere Landtagskommission legten 2012 die Richtlinien für die neue Spitalplanung fest. Der 2012 neu berufene Stiftungsrat hatte im Grunde eine Herkulesaufgabe zu bewältigen. Ein kleines Spital wirtschaftlich zu führen, dabei die Grundversorgung für die liechtensteinische Bevölkerung zu sichern – und dies schliesst Leistungen ein, die nicht finanzierbar sind –, ein durch die Emotionen im Abstimmungskampf verunsichertes Team wieder zu motivieren, ein völlig neues Geschäftsmodell, die Umstellung von einem reinen Belegarztspital auf ein hybrides Chefarzt- und Belegarztsystem zu vollziehen und nicht zuletzt dringende Sanierungsarbeiten vorzunehmen. Dies notabene ohne einen Rappen zusätzlichen Kredit. All dies unter omnipräsenter Beobachtung von Mitarbeitenden, Patienten, Bevölkerung, Medien, der Politik und nicht zuletzt der Konkurrenz auf der anderen Seite des Rheins. Zudem: Gesundheit geht alle an. Deswegen reden auch alle mit. Kaum ein Unternehmen hat solche Herausforderungen zu bewältigen. Und doch – das darf man bei aller Kritik heute sagen – ist es dem Team des Landesspitals gelungen, das Haus innerhalb von nur 5 Jahren völlig neu auszurichten und bis 2016 sogar in die Zone der Wirtschaftlichkeit – sprich eine schwarze Null – zu führen. Der Stiftungsrat hatte damals mit acht strategischen Handlungsfeldern systematisch die Umgestaltung des Landesspitals vorangetrieben: Sinnvolle Strategie, Umstrukturierung von Führung und Organisation, Einführung des neuen Abrechnungssystems DRG, bauliche Massnahmen, Ausbau der Qualitätsstandards, verbesserte Kommunikation im Sinne der Transparenz, eine IT-Strategie für die Zukunftstauglichkeit und das Risikomanagement.
Wirtschaftlichkeit bewiesen
Aufgrund all dieser Massnahmen ist das Landesspital heute in allen genannten Bereichen gut aufgestellt. Es bietet eine qualitativ hochwertige Grundversorgung mit den Standbeinen Innere Medizin, Chirurgie und Anästhesie, sichert die Notfallbehandlung 24-Stunden an 365 Tagen im Jahr und wird mit der neu aufzubauenden Akutgeriatrie ein weiteres Bedürfnis der liechtensteinischen Bevölkerung aufnehmen. Die Nachbefragung 2011 hat ergeben, dass gerade der Notfall im eigenen Land ein Grundbedürfnis darstellt. Im Vergleich zu 2011, als der Notfall nur marginal zur Verfügung stand, zeigen die Zahlen 2016 von über 7000 Fällen im Jahr deutlich, dass diese Leistung rege in Anspruch genommen wird. Die Aufgabe eines landeseigenen Spitals ist es also, sicherzustellen, dass wer im eigenen Land wohnortnah eine medizinische Grundversorgung benötigt, sich darauf verlassen kann, sie auch in Anspruch nehmen zu können. Insofern ist die Frage, ob das Land Liechtenstein ein eigenes Spital braucht, eine Frage, ob die Bevölkerung es will und ob man es sich auch leisten kann und will. Denn ein Grundversorgungsspital, das auch aufwandsintensive Leistungen erbringen soll, ist nicht gratis zu haben. Diese Leistungen kosten. So oder so. Auch im Ausland. Bereits heute gehen 70 Prozent der Landesbeiträge an die Gesundheitsversorgung ins Ausland. Es ist kaum zu erklären, warum diese Leistungen nicht im eigenen Land – gleich gute oder bessere Qualität vorausgesetzt – erbracht werden sollen. Das Landesspital ist derzeit in einer schwierigen Situation, dennoch: es hat bewiesen, dass es zu Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit in der Lage ist und aus eigener Kraft investieren kann. Und die jüngsten Zahlen zeigen bereits wieder einen Aufwärtstrend.
Der Wunsch nach einer sinnvollen Kooperation gehörte zu den stärksten Voten in der damaligen und auch jüngsten Debatte. Nun ist eine sinnvolle Kooperation zunächst aus der Sicht der Eigeninteressen zu prüfen.
Kooperation hat viele Gesichter
Der Wunsch nach einer sinnvollen Kooperation gehörte zu den stärksten Voten in der damaligen und auch jüngsten Debatte. Nun ist eine sinnvolle Kooperation zunächst aus der Sicht der Eigeninteressen zu prüfen. Gewiss ist das Ziel am Ende eine Win–Win-Situation, sonst wäre es keine faire Kooperation. Aber eine Kooperation einzugehen, bei der die Eigeninteressen kaum oder keine Berücksichtigung mehr finden, macht schlicht keinen Sinn. Kaum ein Unternehmen wird eine Kooperation anstreben, bei der es überwiegend Nachteile hat. Die seit langem geführte und immer wieder aufgebrachte Debatte zugunsten einer Kooperation mit Grabs, hat auch das Landesspital geführt und diese auch aktiv angestrebt. Nicht zustande gekommen ist sie allein aufgrund dessen, dass die Eigeninteressen nicht berücksichtigt werden konnten und die St. Galler Seite zu keiner Kooperation auf Augenhöhe bereit war.
Indes wurde eine andere vielversprechende Kooperation angestrebt, die durchaus für Regionalspitäler übliche vertikale Kooperation. Auch hier war man in Vaduz offen gegenüber sämtlichen naheliegenden Zentrumsspitälern. Die 2014 eingegangene vertikale Kooperation mit dem Kantonsspital Chur als Zentrumspartner war in erster Linie darauf zurückzuführen, dass sie auf Augenhöhe stattfinden konnte, zum Vorteil der liechtensteinischen Patienten und nicht zuletzt auch des Landesspitals als landeseigene Institution.
Kooperation bedeutet aber noch einen weiteren Aspekt, den nur das Landesspital in dieser Form leben kann: Die Kooperation im Land selbst; als Drehscheibe der medizinischen Grundversorgung. Gerade für die ältere Generation ist dies das grosse Plus der wohnortnahen Betreuung. Das Landesspital ist im Land wie kein anderes Spital sehr gut vernetzt und eng mit wichtigen Einrichtungen wie der LAK, der Familienhilfe, den Hausärzten, Laboratorien, der Krebshilfe oder der Hospizbewegung verbunden. Diese Zusammenarbeit fusst auf jahrzehntealter Tradition. Sie ist sehr komplex und hier geniesst das Landesspital grosses Vertrauen. Eine Krankheit wird in dem Sinne ja nicht nur im Spital kuriert, ebenso wichtig ist ein guter Übergang ins Spital wie auch der Austritt aus dem Spital wieder in den Alltag und ins gewohnte Umfeld zurück.
Während die meisten jüngeren Menschen nach einem kurzen Spitalaufenthalt relativ rasch wieder entlassen werden können, bedürfen betagte Menschen nach der Akutbehandlung einer gezielten frührehabilitativen Behandlung, um die Lebensqualität und ihre Selbständigkeit wiederherzustellen. Diese Therapie findet auf der akutgeriatrischen Station statt.
Akutgeriatrie: Lebensqualität auch im Alter
Für die 80plus-Generation ist das Landesspital derzeit dabei, die Akutgeriatrie auszubauen. Die Anzahl hochbetagter Menschen in Liechtenstein wird gemäss Statistik überproportional ansteigen. So wächst der Anteil der über 80jährigen an der Gesamtbevölkerung bis zum Jahr 2050 von heute 3.5 auf über 13 Prozent an. Jeder achte Mensch in Liechtenstein ist dann über 80 Jahre alt. Diese Entwicklung zeigt, wie bedeutend die Geriatrie in der nächsten Zukunft in der Gesundheitsversorgung sein wird. Das Liechtensteinische Landesspital (LLS) reagiert auf diese Entwicklung und wird im Jahr 2018 mit dem Aufbau einer Akutgeriatrie beginnen.
Diese Disziplin und das wird hin und wieder übersehen, braucht eine funktionierende Chirurgie und Innere Medizin. Werden betagte und polymorbide Menschen krank oder erleiden einen Unfall, werden sie je nach Vorfall in der Inneren Medizin oder der Chirurgie medizinisch behandelt. Während die meisten jüngeren Menschen nach einem kurzen Spitalaufenthalt relativ rasch wieder entlassen werden können, bedürfen betagte Menschen nach der Akutbehandlung einer gezielten frührehabilitativen Behandlung, um die Lebensqualität und ihre Selbständigkeit wiederherzustellen. Diese Therapie findet auf der akutgeriatrischen Station statt.
In Liechtenstein existiert anders als vielleicht in urbanen Zentren und Grossstädten noch eine Verbundenheit der Generationen. Man kümmert sich umeinander, besucht sich, umsorgt sich. Das Landesspital ist mit seiner zentralen Lage praktisch «mitten im Leben» und bietet hierfür schlichtweg die besten Voraussetzungen. Insofern ist ein landeseigenes Spital gerade für die Generation 60plus oder eher 70plus von besonderem Wert.
LLS – mitten im Leben
In Anbetracht der zunehmenden Lebenserwartung braucht es künftig also eher mehr wohnortnahe medizinische Kompetenz denn weniger. Der Trend im Gesundheitswesen geht immer mehr hin zu einer Integration der «Kranken» in das «gesunde Umfeld». Waren Spitäler häufig am Rande eines Ortes gelegen und die Kranken damit auch in gewisser Weise von der Gesellschaft entfernt, ist heute das Bedürfnis nach Nähe zwischen den zu Versorgenden und Angehörigen stärker geworden. Das soziale Gefüge integriert die Menschen wieder mehr, ob gesund oder krank, sie gehören zusammen und in ihre vertraute Umgebung. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass allein die vertraute Umgebung und die Nähe zum Heim den Heilungsprozess fördert. Nicht zuletzt ist dies gerade für die ältere Bevölkerung und ihre Angehörigen ein Vorteil, nah zu sein. In Liechtenstein existiert anders als vielleicht in urbanen Zentren und Grossstädten noch eine Verbundenheit der Generationen. Man kümmert sich umeinander, besucht sich, umsorgt sich. Das Landesspital ist mit seiner zentralen Lage praktisch «mitten im Leben» und bietet hierfür schlichtweg die besten Voraussetzungen. Insofern ist ein landeseigenes Spital gerade für die Generation 60plus oder eher 70plus von besonderem Wert.
Aber apropos: Die 60jährigen sind heute ja bekanntlich die neuen 50jährigen. Das heisst auch, dass sie agiler sind, mehr Sport treiben, sich mehr bewegen. Doch dies führt gerade bei dieser Generation auch zu mehr Verschleisserscheinungen und schnelleren Verletzungen, Problemen mit Hüfte, Hand oder Fuss. Und genau dafür ist zum Beispiel die Chirurgie am Landesspital mit ihren Experten aus Angestellten und Belegärzten da. Womit sich der Kreis der Grundversorgung schliesst, ganz unabhängig, wie alt oder wie jung man ist.
Michael Ritter
Michael Ritter wuchs in Mauren auf. Nach der Matura am liechtensteinischen Gymnasium studierte er Rechtswissenschaft an der Universität Bern, wo er auch zum Dr. iur. promovierte. 1984 begann er seine erste berufliche Karriere als juristischer Mitarbeiter der Regierung. Als Völkerrechtsexperte nahm er an den EWR-Verhandlungen der Regierung teil. Im Jahr 1993 trat er in die Regierung ein, welcher er als Wirtschafts- und Sozialminister bis zum Jahr 2001 angehörte, wobei er von 1997 bis 2001 als Regierungschef-Stellvertreter fungierte. Seit 2002 ist Michael Ritter Partner in einer Anwaltskanzlei in Vaduz. Er ist Präsident des Stiftungsrates des Liechtensteinischen Landesspitals, Mitglied im Aufsichtsrat der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (FMA) und Verwaltungsrat mehrerer operativ tätiger liechtensteinischer Unternehmen. Michael Ritter ist verheiratet mit Katja Gey und hat zwei Kinder.