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60Plus | Jahreszeiten | Dezember, 2017
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Eine Weihnachtsgeschichte

von Hugo Marxer

Der Adventskalender

Opa Paul sass auf der Ofenbank und wartete auf die Buben. «Die werden heute wohl wieder später kommen, jetzt, wo es so geschneit hat», sprach Oma. «Ach, das macht doch nichts, ich habe ja Zeit!» Wie jedes Jahr hatte Opa schon früh im November für die Buben aus der Stadt einen Adventskalender mitgebracht. Doch dieses Jahr liessen die Buben Johann und Konrad den Opa wissen: «Opa, lass uns doch mal selber einen Adventskalender basteln.» So einen richtig schönen, mit vielen Überraschungen. Wir könnten das doch in deiner Werkstatt ganz hinten auf der Hobelbank machen.» Opa liess sich überreden. Er besorgte Sperrholz, Leim war vorhanden, Farbe musste er auch besorgen und ein paar kleine Nägel und Schrauben. Dann besprach er das Ganze mit den Buben. Konrad meinte: «Das Ganze soll eine Riesenüberraschung für Oma werden.» Johann, der Jüngere, schlug vor, im Türchen beim 1. Adventssonntag sollte ein Weihnachtsmann stehen. Am 2. Adventssonntag sollte hinter dem Türchen die Frau Holle ihr Werk tun. Dann sagte Konrad: «Am 3. Adventssonntag werden wir einen Musikanten in das Türchen stellen. Und am 4. Adventssonntag soll ein Weihnachtsbaum das Türchen schmücken». «Ja, das ist gut so», sprach Opa. «Und dann am 24. Dezember, an Heiligabend, machen wir eine Krippe rein.»

Nun begann man alles Mögliche zu suchen und zu sammeln, was man eventuell brauchen könnte. Viel lag in Opas Werkstatt. Für anderes fragte man die Freunde und Kollegen, waren doch Johann und Konrad beides Ministranten und der Konrad sogar Ober-Ministrant. So kam einiges zusammen: ein altes, grosses Uhrwerk einer Pendeluhr, der Antrieb für eine Kuckucksuhr, ein alter Reiseföhn, einige lange Zug- und Druckfedern, das kleine Blaulicht vom kaputten Feuerwehrauto, ein kleines Musikspielwerk einer Spieldose, verschiedene kleine Lampen, Batterien und ein Verlängerungskabel.

Oma war damit beschäftigt, Kekse zu backen, und bekam nicht viel mit von der Bastlerei. Jeden Tag nach der Schule verschwanden die Buben sofort in Opas Werkstatt. Der Kalender wurde immer grösser und grösser und war bald schon ein kleiner Schrank. «Da muss ich wohl das alte Ölbild über dem Sofa abhängen», sagte der Opa zur Oma, «damit der Kalender Platz hat.» Und das machte er auch.

Eines Tages auf dem Schulweg sagte Johann zu Konrad: «Du, ich glaube, dass das mit dem Fensterchen von der Frau Holle mit den Wattebäuschchen nicht so richtig funktioniert. Ich habe da auf dem Dachboden ein altes Daunenkissen von Oma gefunden, das ist sicher besser.

Eines Tages auf dem Schulweg sagte Johann zu Konrad: «Du, ich glaube, dass das mit dem Fensterchen von der Frau Holle mit den Wattebäuschchen nicht so richtig funktioniert. Ich habe da auf dem Dachboden ein altes Daunenkissen von Oma gefunden, das ist sicher besser.

Man wurde sich einig, dass das letzte Türchen am 24. Dezember dann gemeinsam geöffnet wird, wenn der Kaplan zu Kuchen und Kaffee kommt. Dies war so abgemacht, weil der Kaplan noch eine letzte Besprechung mit den Buben halten wollte wegen der Kindermette.

Am 24. Dezember haben Oma und Opa bereits am Vormittag den Weihnachtsbaum in die Stube gestellt und geschmückt so richtig mit roten Kugeln, neuen Wachskerzen und viel Engelhaar. Nach dem Mittagessen dachte sich Opa, es werde wohl recht sein, wenn ich beim Adventskalender nochmal alle Uhrwerke aufziehe, die Batterien kontrolliere und die Federn nachspanne, damit dann auch alles richtig funktioniert. Trotz des vielen neuen Schnees kam der Herr Kaplan pünktlich um 15 Uhr. Oma hatte den Tisch voller Kekse parat, Kaffee stand auf dem Tisch, und Opa hatte für Hochwürden auch einen Glühwein ins Ofenrohr gestellt.

Man setzte sich an den Tisch, und sogleich bemerkte der Herr Kaplan den grossen Adventskalender über dem Sofa. «Ja, den haben wir zusammen gebastelt», sprach Johann, «und der funktioniert prima.»

Man setzte sich an den Tisch, und sogleich bemerkte der Herr Kaplan den grossen Adventskalender über dem Sofa. «Ja, den haben wir zusammen gebastelt», sprach Johann, «und der funktioniert prima.» «Und Sie, Hochwürden, dürfen heute das letzte Türchen öffnen», sagte Oma. Der Kaplan erhob sich, schritt ganz langsam zum Adventskalender und probierte, das Türchen zum 24. Dezember zu öffnen. Es ging nicht. Es klemmte. Der Kaplan setzte sich wieder an den Tisch, und Opa schaute auf die Buben. Konrad grinste. Und Johann hob nur die Achseln. Oma bemerkte, wie der Kaplan ganz rot im Gesicht wurde.

Dann auf einmal hörte man ein Knacksen, ein Surren, dann wieder ein Knacks, dann öffnete sich ein Türchen, und eine rote Zipfelmütze flog durch die Stube. An einer langen Feder hing ein Wattebart aus dem Türchen. «Das war der Nikolaus», sprach Opa ganz leise. Dann wieder Ruhe … Jetzt ein lauter Knacks, dann wieder ein Surren, dann wieder ein Knacks, und das Türchen zum 24. Dezember öffnete sich, und da stand die kleine Krippe und das Musikspielwerk begann den Schneewalzer zu spielen. Ganz oben im Kalender öffnete sich ein anderes Türchen, und ein kleiner Christbaum blinkte, drehte sich wie ein Kreisel, und im Hintergrund rief der Kuckuck aus dem Uhrwerk.

Am Tisch rührte der Kaplan schon minutenlang seinen Kaffee – mit einem Auge auf den Adventskalender und mitdem anderen Auge auf die Buben. Oma war hochrot im Gesicht und sprach: «Hochwürden, Herr Kaplan, tun Sie doch was!» Aber es blieb still. Eine grosse Ruhe hing über der Stube … Dann eine Erschütterung im Kalender, eine Vibration, ein Quietschen, ein Brummen, ein Blasen ging los. Ein Sturm. Das Türchen von Frau Holle flog weit in die Stube, und aus dem Türchen wirbelte es Daunenfedern wie in einem Schneesturm durch die Stube. Im Nu war das Sofa schneeweiss, und die Daunen wirbelten dauernd weiter. «Alfons, tu doch was», rief Oma. «Was soll ich bloss tun», fragte Opa zurück. «Abschalten, abschalten», rief Oma. «Das geht doch jetzt nicht mehr», antwortete Konrad, «der Musikant ist ja noch nicht gekommen». «Jawohl», rief Johann, «und der ist ganz toll.»

Doch jetzt war es still. Alle schauten gespannt auf den Kalender. Nichts, keine Rührung, Ruhe. Ganz still war es wieder in der Stube. Da wollte der Kaplan gerade was sagen, als der Kalenderkasten einen mächtigen Ruck an der Wand machte. Es grollte und vibrierte im Kasten, ein kleines, blaues Drehlicht blinkte … Dann ein Ruck, und der Musikant flog durch das Zimmer bis auf den Tisch. Dazu hörte man jetzt «Stille Nacht, heilige Nacht» aus dem Musikspielwerk.

Der Kaplan war kreidebleich. «Was ist los, Hochwürden?», fragte Opa ganz kleinlaut. Mit leiser Stimme antwortete der Kaplan: «Mir ist ganz komisch im Gemüt. Die Buben durften doch heuer die Krippe in der Kirche ganz allein aufbauen. Und da wollten sie in der Burg auch ein elektrisches Licht einbauen, wenn da… nur nicht… Ich hoffe doch, das Christkind wird das noch richten.»

Hugo Marxer

  • Geboren am 5. Dezember 1948 in Eschen
  • Lehre als Maschinenzeichner
  • Grafikstudium
  • Sommerakademie in Salzburg
  • Ausbildung zum Steinbildhauer in Carrara, Italien
  • Arbeitet als Bildhauer und Maler in seinen Ateliers in Eschen