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60Plus | Horizont | März, 2018
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Grosse Ideen unter düsteren Wolken

Der Architekt Ernst Sommerlad in seiner Zeit. (4. Teil). Von Marcus Büchel

Oben: Das Unternehmerpaar 1927

Liechtenstein hatte die politisch schwierige Zeit gut überstanden, ja davon sogar profitiert. Die Immigration von vermögenden Menschen in das sichere Land bescherte einen Aufschwung, der auch grosse Ideen und Projekte beförderte. Mitten drin in dem Geschehen: der Architekt Ernst Sommerlad. Doch schon bald dräute der braune «Umbruch».

Die Weisse Stadt von Tel Aviv. Rund 4000 Häuser umfasst dieses urbane Viertel, welches so ausserordentlich ist, dass es von der UNESCO zum Welterbe erklärt wurde. Was ist das Ausserordentliche an der Weissen Stadt? Die Stadt in der Stadt wurde zwischen 1930 und 1948 erbaut. Da die Gebäude bis heute trotz des üblichen Drucks von Investoren und trotz der Bauplatzknappheit im dicht bevölkerten Israel zum überwiegenden Teil erhalten blieben, ist hier das grösste Bauensemble der Moderne vorzufinden. Es waren jüdische Architekten, die angesichts der Zunahme von Rassismus und Repressalien aus Deutschland und Osteuropa nach Palästina emigriert waren, und die hier ihre mitteleuropäischen Vorstellungen von Wohnbau umsetzen wollten. Als Schüler von Walter Gropius und der anderen grossen Lehrer des Neuen Bauens in Berlin, Stuttgart, Breslau oder Magdeburg brachten sie grosse baupraktische Erfahrungen und detaillierte Kenntnis des Neuen Bauens mit. Eine Gartenstadt nach den Gestaltungsprinzipien des Bauhaus sowie den sozialen Ideen seiner Protagonisten sollte entstehen. Die Menschen sollten freier wohnen, in einfachen, funktionalen Gebäuden und inmitten von Gärten reichlich Licht, Luft und Sonne geniessen können.

Gartenstädte – Bezüge über Kontinente

In 2717 Kilometer Entfernung schickt sich ein anderer an, eine Gartenstadt zu realisieren: Ernst Sommerlad in Vaduz, ein Bruder im Geiste der jüdischen Pioniere der modernen Architektur. 1926 – Jahre bevor noch das erste Fundament eines Hauses der zukünftigen WeissenStadt ausgehoben worden war – setzte Sommerlad den Grundstein für «seine» Vaduzer Gartenstadt. Die Voraussetzung dazu hatten die Vaduzer Stimmbürger mit dem Mehrheitsentscheid geschaffen, die Landwirtschaftszone auf der Allmeind zu Bauland umzuwidmen. Das im Grössenvergleich zur Weissen Stadt Gartenstädtchen zu benennende Vaduzer Pendant hatte nicht nur dieselbe ideelle Grundlage im architektonisch-städtebaulich-gesellschaftspolitischen Sinn, es sollten sich hier bei uns in späteren Jahren auch ähnliche Probleme einstellen. Begehrlichkeiten der Immobilienwirtschaft, Verdichtung, Abrisse und respektlose Umbauten bedrohen trotz Schutz das israelische Welterbe, vergleichbar der Situation in Vaduz. Viele Villen aus den 1920er bis 1950er Jahren wurden abgerissen; wo früher Anwesen von einem Park umrahmt waren, dehnen sich heute Überbauungen aus bis an die Grenze des ehemaligen Gartenzauns. Hier wie dort hat sich die Wertigkeit verschoben. In den Augen des Homo oeconomicus erscheinen die Bäume, Sträucher, Beete und Wiesen bloss als totes Kapital, welches – angeblich bar jeder Vernunft – brach liegt. Die Gärten haben der Rendite zu weichen. Und das VaduzerVillenviertel droht, zu einer Art Edelfavela zu mutieren, vollgepfercht mit Luxusgebäuden. Dieser Entwicklung sind auch etliche Villen von Sommerlad zum Opfer gefallen.

Genauso wie der Stadtteil von Tel Aviv als Ergebnis einer langfristigen Planung anzusehen ist, so sind das Villenviertel in Vaduz und ebenso jenes in Schaan als grösste städtebauliche Vorhaben mit einem zugrunde liegenden Konzept anzusehen, die je in Liechtenstein realisiert worden sind. 

Manchem Leser mag der Vergleich zwischen dem Vaduzer Villenviertel mit der Weissen Stadt nicht grössenverträglich erscheinen. Das ist ein Todschlagargument im liechtensteinischen Diskurs, wenn es gilt, Vergleiche mit dem Ausland vom Tisch zu wischen, über die man nicht nachdenken mag. Jedoch: Genauso wie der Stadtteil von Tel Aviv als Ergebnis einer langfristigen Planung anzusehen ist, so sind das Villenviertel in Vaduz und ebenso jenes in Schaan als grösste städtebauliche Vorhaben mit einem zugrunde liegenden Konzept anzusehen, die je in Liechtenstein realisiert worden sind. Wer mit offenen Augen die herrlichen Hanglagen am Eschnerberg oder Schellenberg durchwandert und angesichts des architektonischen Chaos von Irritationen befallen wird, wird den Unterschied zu einer der Ästhetik verpflichteten Ortsplanung unmittelbar erleben.

Von der Insel der Seligen zur Fluchtburg

Es geht aufwärts mit Sommerlads in den zwanziger Jahren, sowohl in ökonomischer als auch in familiärer Hinsicht. 1929 wird Sohn Martin, 1932 Tochter Grete-Gabriele geboren. Das Ehepaar betätigt sich sportlich und gesellschaftlich und wirkt unternehmerisch perfekt zusammen: Er besorgt das Architektonische, sie das Kaufmännische. Das Geschäft blüht. Finanzkräftige Ausländer, vor allem aus Deutschland, lassen sich anwerben, in Liechtenstein Wohnsitz zu nehmen. Es genügt ein Auftrag an Ernst Sommerlad und schon wirkt er als Generalunternehmer. Er erledigt alles, von der Akquisition des Grundstücks über den Hausbau bis zur Aufenthaltsbewilligung. Allmählich wandeln sich die Kuhweiden auf der Allmeind zum Villenquartier. Bis 1939 wird Sommerlad allein in Liechtenstein 50 Häuser entworfen und gebaut haben.

Die Familie lebt komfortabel. Ein repräsentativer Ford wird angeschafft. Gewohnt wird jeweils in einem der vom Architekten selbst errichteten Häuser. Dort bleibt die Familie so lange, bis die Immobilie wieder veräussert wird. So ziehen Sommerlads als Kleinstraumnomaden herum, von einer der neuen Villen, die an der privilegierten, sonnendurchfluteten Wohnlage am Hang zwischen Landstrasse und Wald entstehen, in eine andere.

Sommerlad hatte dem Bauherren Emanuel Epstein zwar Ideen geliefert, aber die Architektur wurde Gustav Ludwig aus München anvertraut und den Auftrag für die die Bauleitung erhielt der einzige Fachkollege im Land, Erwin Hinderer aus Schaan

Bei einigen Bauvorhaben musste der Baukünstler Sommerlad (Bellasi, Riederer) eine Schlappe hinnehmen. Das Waldhotel Liechtensteiner Hof lag unweit der heutigen Tennisplätze am Rand der Villenkolonie. Sommerlad hatte dem Bauherren Emanuel Epstein zwar Ideen geliefert, aber die Architektur wurde Gustav Ludwig aus München anvertraut und den Auftrag für die die Bauleitung erhielt der einzige Fachkollege im Land, Erwin Hinderer aus Schaan. Der Bau wurde 1931 und 1932 errichtet. Das Waldhotel war nicht nur die erste Nobelherberge im Land, die Touristen Hotellerie auf hohem Niveau anbot. Es wurde auch ein Anziehungspunkt für Ausflügler aus nah und fern. Die grosse Attraktion war die moderne Freizeitanlage mit dem Schwimmbad im Zentrum. Diese trug Sommerlads Handschrift, denn wenigstens für das Unterprojekt hatte er den Auftrag erhalten. Es kamen vor allem Besucher von der Schweizer Seite des Rheins, wo es damals noch nichts dergleichen gab.

Werfen wir einen Blick auf das Geschehen rund um das Waldhotel, denn dies ruft uns unsere Sittengeschichte, die keineswegs lange zurückliegt, in Erinnerung. Im Gegensatz zu den Schweizern war es der hiesigen Dorfjugend nicht gestattet, sich auf dem Freizeitareal zu delektieren, denn die Geistlichkeit witterte sittlich-moralische Verführung der Jugend durch den Anblick nackten Fleisches. Nicht ohne Süffisanz notierte viele Jahre später eine Schweizer Fachzeitschrift: «Das Schwimmbad stand jedoch im Widerspruch zur sittlichen Moral der streng katholisch erzogenen Bevölkerung und musste deshalb mit hohen, blicksicheren Zäunen abgeschirmt werden.» Ungehindert tummelten sich dort neben den Ausländern jedoch die Bewohner des Villenviertels, denn der Bann der Pfarrer reichte nur bis zur Grenze der Ebenholz-Kolonie. «Uns ungläubigen Protestanten und den vielen jüdischen Kindern konnte die Benützung nicht verwehrt werden», erzählte Jahre später Martin Sommerlad, des Architekten Sohn.

Oben: Villa am Brandiserweg – Wohnhaus von Josef Hoop

Das Waldhotel war nicht nur renommiert und beliebt, sondern auch in architektonischer Hinsicht bemerkenswert. Nichtsdestotrotz kam 1970 sein Ende. «Leider wurde dieser beispielhafte Bau abgerissen», bedauerte noch viele Jahre später eine Schweizer Architekturzeitschrift. Das Schwimmbad wurde zugeschüttet. Damit ereilte das Waldhotel samt der gesamten Anlage dasselbe traurige Schicksal wie andere bedeutende Beispiele liechtensteinischer Architektur. Die Gemeinde Vaduz kaufte 1979 das Grundstück. Am Platz des legendären Waldhotel kann man heute eine gemauerte Röhre mit Eisenstäben zum Grillieren, daneben einen grünen Eisenkübel vorfinden. Immerhin erinnern Gedenktafeln an das, was einst hier war.

Vertane Chancen

Sommerlad war wahrhaft ein unternehmerischer Geist. Wohl als Ersatz für den entgangenen Auftrag regte er den Erbauer des Waldhotel Emanuel Epstein zu einem zweiten Hotelprojekt an, einem Kasino-Hotel in Vaduz. Epstein, ein «Financier» – wie damals Investoren bezeichnet wurden – aus Prag, fand die Idee offenbar überzeugend, sodass er sich dazu entschloss, 2,2 Millionen Franken zu investieren. Die Investition war exorbitant für Liechtensteiner Verhältnisse, entsprach sie doch dem Gegenwert von 33 Sommerlad-Villen. Obwohl der Bauherr mit seinem Rechtsanwalt Dr. Ludwig Marxer einen Mann mit besten Verbindungen zur Politik an Bord hatte, zögerte die Regierung mit der Baubewilligung. 1931 wurde diese endlich erteilt. Dann kam es zu weiteren Verzögerungen, dieses Mal, weil sich Bauherr und Architekt wegen des Honorars zerstritten hatten. Mittlerweile hatte es sich die Regierung anders überlegt; sie entzog 1932 Bewilligung und Konzession. Aus der Traum vom grossen Geld – nicht nur für Sommerlad und den Investor. Dieses Grossprojekt hätte nicht nur der Bauwirtschaft in jener wirtschaftsdepressiven Zeit Aufträge verschafft, sondern wohl auch den Tourismus in Liechtenstein nachhaltig angekurbelt, sodass dieser sich wohl auf Jahrzehnte hinaus zu einem relevanten  volkswirtschaftlichen Faktor entwickelt hätte.

Visionäre Voraussicht und Tatkraft vermögen nichts zu bewirken, wo Neider ihre Fäden spinnen. Bellasi und Riederer vermuten, dass heimische «Gewerbler» das Projekt bei der Regierung torpediert hatten. Eigenartig, denn das Baugewerbe hätte sich damit selbst massiv geschadet, aber keineswegs unwahrscheinlich. Denn von Anfang an war es zu dem «Ausländer» in Ambivalenz gestanden: einerseits abhängig von dessen Aufträgen, andererseits jede Gelegenheit nutzend, ihm zu schaden.

Oben: Möbel nach den Entwürfen Sommerlads

Für einen anderen als den genannten Grund finden sich bei Bellasi und Riederer keine Hinweise. Es liesse sich aber eine historisch-politisch plausiblere Erklärung für den Fall des Projekts finden als die Mutmassung, die «heimischen Gewerbler» hätten es hintertrieben, womit sie sich selbst geschädigt hätten. 1932 hatte Architekt Erwin Hinderer im Auftrag einer englisch-amerikanischen Lotteriegesellschaft den Bau eines Geschäftsgebäudes in Vaduz begonnen. Das war der Regierung, die vorgängig den Bau und die Konzession für die Lotterie zu genehmigen hatte, mithin bekannt. Wahrscheinlich ist, dass die Regierung das Epsteinprojekt stoppte, weil damit ein zweiter Geldspielbetrieb im Land entstanden wäre, was sie nicht wollte. Dazu kam eine Änderung der Geldspielgesetzgebung. Hinderers Bau wurde 1933 fertiggestellt. Aber bereits im folgenden Jahr musste die Gesellschaft den Lotteriebetrieb einstellen, denn die Schweiz hatte die Anwendbarkeit ihres Lotteriegesetzes auf Liechtenstein geltend gemacht, um dadurch ihre prohibitive Geldspielpolitik auf unser Land auszuweiten: Wenn man schon selbst mit Geldspielen kein Geschäft machen durfte, sollte dergleichen auch dem kleinen Nachbarn nicht vergönnt sein. 70 Jahre später allerdings – nachdem die Schweiz die Errichtung von Spielcasinos selbst gesetzlich erlaubt hatte – gelangte sie zur Erkenntnis, dass die Bewilligung von Casinos doch nicht Zollvertragsmaterie sei.

Immerhin steht das von Erwin Hinderer geplante prominente Gebäude im Vaduzer Städtle noch, und seine Geschichte hat sich in dessen heutiger Bezeichnung niedergeschlagen: Engländerbau.

Möglicherweise ahnte er, dass der Wettbewerb bloss eine Farce war und das Ergebnis von vorneherein feststand: Der Auftrag sollte an Bürgermeister Ludwig Ospelts Wunscharchitekt Franz Josef Röckle gehen. 

Bei einem vierten Grossbauprojekt jener Jahre hatte sich Sommerlad schon gar nicht beteiligt: dem Vaduzer Rathaus, was angesichts der knappen Auftragslage jener Jahre erklärungsbedürftig ist. Er war zwar neben Hinderer von der Gemeinde zum Projektwettbewerb eingeladen worden, lehnte es aber ab, teilzunehmen. Möglicherweise ahnte er, dass der Wettbewerb bloss eine Farce war und das Ergebnis von vorneherein feststand: Der Auftrag sollte an Bürgermeister Ludwig Ospelts Wunscharchitekt Franz Josef Röckle gehen. Röckle hatte einen unschlagbaren Vorsprung vor der Konkurrenz: Er besass das Vaduzer Bürgerrecht. Der gebürtige Vaduzer war im Studentenalter nach Deutschland ausgewandert, hatte dort sein Architekturstudium absolviert und baute als selbständiger Architekt erfolgreich in verschiedenen deutschen Städten. Röckle erwarb die deutsche Staatsbürgerschaft und nahm als Leutnant am ersten Weltkrieg teil. Dabei wurde er, wie Sommerlad, «mit hohen Auszeichnungen» dekoriert. Später wurde er bekennender Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung. Ohne den lukrativen Auftrag wäre Röckle wohl kaum heim ins Fürstentum gekommen. Seine Rückkehr schlug sich nicht nur architektonisch nieder – er war der dritte ausgebildete Architekt im Land – sondern auch politisch-kriminologisch.

Das liechtensteinische Pogrom

1933 begingen die vier Liechtensteiner Nazis Rudolf Schädler, Peter Rheinberger, Eugen Frommelt und Franz Josef Röckle zusammen mit deutschen Helfern ein folgenschweres Verbrechen, welches von Röckle minutiös geplant worden war, während er das Rathaus baute. Die Brüder Fritz und Alfred Rotter sowie Alfreds Ehefrau Gertrud sollten gewaltsam aus Liechtenstein ins Deutsche Reich entführt werden. Der Hintergrund war folgender: Die Berliner Theaterdirektoren Rotter hatten angesichts des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland die Liechtensteiner Staatsbürgerschaft erlangt und waren hier auch ansässig geworden. Da die Rotters prominent waren, eignete sich der Fall, um gegen Liechtenstein medial Stimmung zu machen. Das kleine Land sei eine Fluchtburg für deutsches Kapital und – noch schlimmer – eine Fluchtburg für deutsche Juden. Eine Hetzkampagne in der gleichgeschalteten deutschnationalen Presse wurde losgetreten. Vom «Raubstaat Liechtenstein» war zu lesen und offen rief die Nürnberger Zeitung zum «Sturm gegen das Verbrecherasyl» auf. Ein Berliner Gericht erliess einen Haftbefehl gegen die Rotters wegen Kapitalflucht und politische Stellen forderten energisch die sofortige Auslieferung. Auch im Land selbst wurde «kräftig gegen die zugewanderten Neubürger gehetzt.» Allerdings, die Regierung unter Josef Hoop widerstand mutig und konsequent sowohl den äusseren als auch den inneren Pressionen und verweigerte die Auslieferung der beiden Liechtensteiner Bürger. Angesichts der Aussichtslosigkeit einer Auslieferung an Deutschland griff die Gruppe um Röckle zur Selbstjustiz. Am 5. April sollten Alfred Rotter, dessen Frau Gertrud sowie Fritz Rotter und seine Freundin Julie Wolf in Gafleigekidnappt, bewusstlos gemacht und nach Deutschland entführt werden. Der Plan misslang insofern, als es den Opfern gelang, sich zu befreien. Drei stürzten auf der Flucht in die Erbirüfi ab, wobei Alfred Rotter und seine Frau Gertrud zu Tode kamen.

Und er selbst war es, der Gertrud Rotters Leichnam zu Tale trug. Für Ernst Sommerlad war das Verbrechen nicht nur ein momentaner Schock; darüber hinaus hinterliess es «eine Kerbe in seiner Biografie», wohl deshalb, weil seine Gewissheit, rassistische Gewalttaten würden nicht nach Liechtenstein übergreifen, erschüttert worden war.

Sommerlads waren mit dem Ehepaar Rotter befreundet. Sommerlad beteiligte sich an der Suchaktion nach den abgestürzten Opfern. Und er selbst war es, der Gertrud Rotters Leichnam zu Tale trug. Für Ernst Sommerlad war das Verbrechen nicht nur ein momentaner Schock; darüber hinaus hinterliess es «eine Kerbe in seiner Biografie», wohl deshalb, weil seine Gewissheit, rassistische Gewalttaten würden nicht nach Liechtenstein übergreifen, erschüttert worden war. Die zu erwartende Empörung über das Pogrom im Land soll ausgeblieben sein, und die Urteile für die Täter fielen auffällig mild aus.

Einigeln im Nationalstaat

1933 war überhaupt ein Wendejahr: Kurz nach Hitlers Machtergreifung wurden die NSDAP-Ortsgruppe Liechtenstein mit Dr. Friedrich Bock als Leiter und im Herbst der Liechtensteiner Heimatdienst gegründet. Bock trat nicht nur politisch in Erscheinung. Er gründete die RAMCO Zahnfabrik in Schaan, die Vorgängerin der IVOCLAR.

Um der wirtschaftlichen Misere, die infolge der Weltwirtschaftskrise mit Verspätung auch nach Liechtenstein übergeschwappt war, überhaupt etwas entgegenzusetzen, wurden vom Land Arbeitsprogramme durchgeführt, wobei das bedeutendste die Wuhrarbeiten am Rhein und der Bau des Binnenkanals war ab 1931. Allmählich kamen auch Sommerlad die Bauherren abhanden, vor allem weil das Deutsche Reich einen Riegel gegen Steuerflucht vorgeschoben hatte; im Frühjahr 1933 erliess Hitler die «Tausend-Mark-Sperre». In diesem Jahr baute Sommerlad noch 3 Häuser, 1934 noch eines, 1935 keines mehr. Die wirtschaftliche Entwicklung wohl voraussehend, versuchte Sommerlad seine Bautätigkeit auf Vorarlberg und die benachbarte Schweiz auszudehnen. Allerdings konnte Sommerlad in Vorarlberg gerade zwei Bauten verwirklichen. Die Barrieren, die der Ständestaat gegenüber ausländischer Konkurrenz aufgebaut hatte, erwiesen sich als wirksam. Immerhin hatte er bereits 1931 das Arlberghaus in Zürs realisieren können, welches ihm beachtlichen Erfolg und grosse Anerkennung in Fachkreisen bescherte. Zwar war in Vorarlberg begeistertes Interesse an Sommerlads Architektur aufgekommen, pilgerten doch etliche Vorarlberger Baumeister mit dem Skizzenblock nach Vaduz, um sich dort von Sommerlads Bauten inspirieren zu lassen. Sobald der Meister aber selber als Architekt im «Ländle» ins Geschäft kommen wollte, war es mit der Liebe vorbei.

In der Ostschweiz, vor allem im Sankt Gallischen und Appenzellischen, war der deutsche Architekt aus Liechtenstein nicht nur in qualitativer sondern auch in quantitativer Hinsicht erfolgreich. So baute er neben vielem anderen das Kurhaus in Gais, Zweifamilienhäuser im Kanton Appenzell Ausserrhoden und eine Überbauung in der Stadt St. Gallen (1936). Dort gründete er mit einem einheimischen Kollegen ein weiteres Architekturbüro als zweites Standbein.

Sommerlads Bauten fanden in der Schweiz erhebliche Beachtung. Dort und international erntete er für seine innovative, funktionelle und komfortable Architektur grosse Anerkennung, die Fachpresse lobte ihn. Die Münchner «Kunst» plante einen umfangreichen Beitrag mit Illustrationen seiner Bauten. 

Sommerlads Bauten fanden in der Schweiz erhebliche Beachtung. Dort und international erntete er für seine innovative, funktionelle und komfortable Architektur grosse Anerkennung, die Fachpresse lobte ihn. Die Münchner «Kunst» plante einen umfangreichen Beitrag mit Illustrationen seiner Bauten. Mit einem Haus am Walensee machte Sommerlad sogar in England Furore. Vom Royal Institute of British Architects erhielt er eine Einladung, das besagte Haus am Walensee sowie ein von ihm entworfenes und selbst bewohntes Haus in Vaduz an einer renommierten Ausstellung in England zu präsentieren. Keine Frage, Sommerlads Gesamtkunstwerke – vom Gebäude über Küchenplanung und Möbelentwurf bis zur Parkanlage- fanden eine zahlreiche Anhängerschaft im In- und Ausland und brachten ihm internationale Anerkennung in Fachkreisen. Nichtsdestotrotz wurden seiner Schaffenskraft bald Grenzen gesetzt. Vor allem in Appenzell ging die Fremdenpolizei, vom Protektionismus getrieben, gegen den Architekten vor. Sie machte geltend, dass er als in Liechtenstein wohnender Ausländer nicht grenzüberschreitend tätig sein dürfe. Auch im Kanton St. Gallen häuften sich die fremdenpolizeilichen Steine, die ihm in den Weg geworfen wurden. Appenzell erteilte ihm 1936 ein vollständiges Verbot, auf seinem Kantonsgebiet tätig zu werden. Eine Intervention der liechtensteinischen Regierung und ein verständiger sozialdemokratischer Regierungsrat in St. Gallen namens Valentin Keel verschafften ihm zwar einen Aufschub. Aber auch für diesen Kanton erhielt er 1937 ein Berufsverbot. Damit war Sommerlads Radius wieder auf 160 Quadratkilometer begrenzt.

Im Inland ging der Dauerclinch mit den Baumeistern weiter. Diese forderten immer wieder ein Berufsverbot für den Architekten, weil er angeblich zu billig sowie mit den falschen Materialien baue und obendrein den Preis drücke. Besonders Landesingenieur Josef Vogt, ein Antimoderner, behinderte ihn, gleich wie sein Amtsvorgänger Oberingenieur Hiener, wo er nur konnte. Jedoch hielt Regierungschef Dr. Josef Hoop, der als studierter Orientalist ein gebildeter und überdies der Moderne gegenüber aufgeschlossener Mann war und sich als ebenso weitsichtiger wie unerschrockener Politiker erwies, seine schützende Hand über den Architekten und seine Familie.

Die Nacherzählung von Sommerlads Leben im jeweiligen Zeitgeschehen fusst wesentlich auf dem Werk von Andreas Bellasi und Ursula Riederer: Alsleben alias Sommerlad. Rotpunktverlag, Zürich 1997. Zitate ohne Quellenangabe sind dem Buch entnommen.

Fotonachweis: Sommerlad-Archiv; mit Dank an das Liechtensteinische Landesarchiv.