Von Iris Ott
Wenn sich jemand bereits mit Mitte 30 intensiv mit dem Tod und der Endlichkeit des Lebens auseinandersetzt, mag das für die meisten etwas befremdlich sein. Doch im Gespräch mit Franz Jehle, dem Gründer und Präsidenten der Hospizbewegung Liechtenstein, ist seine lebensbejahende und positive Grundhaltung vom ersten Moment an spürbar.
«Für mich ist Konfrontation mit dem Tod nicht bedrückend. Er ist Teil des Lebens, der mich gelehrt hat, intensiver zu leben und Unwichtiges von Wichtigem zu unterscheiden», erklärt Franz Jehle. Doch wie ist es dazu gekommen, dass er sich immer tiefer auf dieses Thema eingelassen hat? Der Referent und persönliche Freund Franz Jehles, Peter Fässler-Weibel, hat Anfang der 90er-Jahre schweizweit und sehr erfolgreich Tagesseminare mit dem Titel «Nahe sein in schwerer Zeit» angeboten. Diese Seminare wurde ins Kursprogramm der Erwachsenenbildung Stein Egerta aufgenommen, weil es dem damaligen Studienleiter Franz Jehle schon in jungen Jahren wichtig erschien, Sterbenden und Trauernden etwas anbieten zu können, was die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod förderte und beim endgültigen Abschiednehmen ein wenig Trost spendete.
Etwa zeitgleich erarbeitete die «Stein Egerta» in Zusammenarbeit mit zehn verschiedenen Organisationen aus Liechtenstein und Vorarlberg den Zyklus «Sterben, Tod, Leid und Trauer». Diese Seminare zum Umgang mit dem Verlust von Angehörigen wurde von Betroffenen sehr gut und gerne angenommen, sodass daraus schliesslich, unter der Federführung von Franz Jehle, das erste Buch mit dem Titel «Leiden verstehen lernen» (1994), entstand.
Von der Hospizgruppe zur Hospizbewegung
Als erster Teilnehmer aus Liechtenstein absolvierte Franz Jehle in den Jahren 1992/1993 die Ausbildung für Lebens-, Sterbe- und Trauerarbeit bei der «Caritas Socialis» in Wien, im Rahmen derer er sich in seiner Abschlussarbeit mit dem Aufbau einer Hospizbewegung in Liechtenstein auseinandersetzte. Dieser Aufbau war damals noch als Teil seiner Arbeit in der Erwachsenenbildung Stein Egerta integriert.
In Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachreferent:innen in Liechtenstein sowie über die Landesgrenzen hinaus bot der Studienleiter zahlreiche Vorträge und Seminare an, bei denen er u. a. auch Hilde Corba, eine Trauernde aus Schaan, kennenlernte. Frau Corba sei von Anfang an von der Idee einer liechtensteinischen Hospizbewegung begeistert gewesen und habe den Aufbau dieser im Land massgeblich mit aufgebaut, erklärt Franz Jehle rückblickend. So entwickelte sich die Hospizgruppe als Teilbereich der Erwachsenenbildung Stein Egerta zum eigenständigen Verein Hospizbewegung Liechtenstein (HBL), welcher am 29. Mai 2001 in Schaan gegründet wurde. Hilde Corba übernahm die Aufgaben der Geschäftsführerin, Franz Jehle wurde zum Präsidenten ernannt.
Hospizbewegung heute?
Die Hospizbewegung wurde 1967 von der Ärztin Cicely Saunders mit der Gründung des «St. Christopher’s Hospice» in London ins Leben gerufen. Ihr Ziel war die Verbesserung der Situation Sterbender und ihrer Angehörigen sowie die Integration des Themas Sterben und Tod in unser aller Leben. Dieser Grundsatz gilt seither für alle Hospizbewegungen: Sie agieren als Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleiter, bei denen die Menschen in ihrer letzten Lebensphase sowie deren Angehörigen im Mittelpunkt stehen. Wenn Franz Jehle auf die über 20-jährige Geschichte des Vereins zurückblickt, erklärt er: «Gesellschaftlich hat sich leider wenig verändert. Sterben, Tod und Trauer sind nach wie vor Tabuthemen. Und doch gibt es Menschen, die sich sozusagen mit Haut und Haaren darauf einlassen und sich engagieren. In Sachen Palliativmedizin hat sich einiges zum Besseren gewandelt. Um die Situation für Terminalpatienten aus Liechtenstein zu verbessern, wünschen wir uns, dass beim Bau des neuen Landesspitals auch eine spezialisierte palliativmedizinische Abteilung (rund um die Uhr Begleitung durch ausgebildete Palliativ-Ärzte) eingeplant wird. Dadurch könnten die Menschen dieses Angebot unabhängig von ihrer finanziellen Situation in Anspruch nehmen. Zwar gibt es eine palliativmedizinische Abteilung im Grabser Spital, die der Bevölkerung Liechtensteins offensteht, jedoch mit einer hohen finanziellen Eigenleistung verbunden ist. Und das können sich nicht alle leisten.»
Ehrenamtliche Hospizbegleiter:innen
Wer sich in der Hospizbewegung als ehrenamtliche Begleiter:in engagieren möchte, muss davor den Grundkurs «Praktische Hospizarbeit», der durch den Verein angeboten wird, absolvieren. Das Seminar beinhaltet drei Bausteine und kann auch unabhängig von einer Mitarbeit bei der Hospizbewegung besucht werden.
In Liechtenstein sind alle fünf Häuser der Alters- und Krankenhilfe (LAK) palliativzertifiziert. Die fruchtbare Zusammenarbeit der LAK und der HBL zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die Hospizbegleiter:innen etwa 95 % ihrer jährlich rund 2000 Einsatzstunden in den Einrichtungen der LAK haben – sowie im Weiteren innerhalb des Landespitals Vaduz, in der Altershilfe Balzers und im privaten Umfeld. «Jede Begleitung», so Franz-Josef Jehle, «ist individuell. Das bedeutet, dass sich die Hospizbegleiter:innen vorab gut über Vorlieben, Abneigungen, Biografie, Lebensumfeld etc. der betroffenen Person informieren – und wo immer möglich die Familie mit einbeziehen. Empathie, zuhören können und Geduld sind weitere Voraussetzungen, die man als Hospizbegleiter:in mitbringen muss.»
Im Unterschied zum Beginn der HBL hat sich die Struktur verändert: Heute gibt es keine Geschäftsführung mehr. Die Aufgaben wurden aufgeteilt auf den Präsidenten (Vorstand), eine Koordinationsperson sowie eine Sekretariatsmitarbeitende (20 %). Die beiden Letzteren erhalten einen Lohn. Alle anderen arbeiten ehrenamtlich im Verein mit. Selbst die Ausflüge, die der Vorstand ca. alle fünf Jahre zu einem Partnerhospiz unternimmt, bezahlen die Vorstandsmitglieder aus eigener Tasche. Damit ist auch sichergestellt, dass die zahlreichen Zuwendungen und Spenden praktisch vollumfänglich der Begleitung der Menschen in ihrer allerletzten Lebensphase zugutekommt.
20 Jahre HBL
Wie feiert man das 20. Jubiläum eines Vereins, bei dem sich die Grundlagen seines Tuns, wenn überhaupt, dann nur marginal ändern? Die Entstehungsgeschichte ist bereits mehrfach verbrieft, mehrere Bücher zum Umgang mit dem bevorstehenden Tod und Trauer wurden publiziert. Naheliegend zwar, aber nicht selbstverständlich liess die Hospizbewegung Liechtenstein Trauernde zu Wort kommen: 21 betroffene Menschen haben ihre Trauer, das Abschiednehmen und Loslassen in Berichten, Zeichnungen, Gedichten, Liedtexten usw. ausgedrückt und der Hospizbewegung Liechtenstein zur Verfügung gestellt. Daraus ist im Jubiläumsjahr 2021 ein Buch mit dem Titel «…aber die Liebe bleibt» entstanden. Das wunderschön illustrierte Buch bringt einen auf sehr berührende, aber auch tröstende Weise dazu, sich mit einem Thema zu befassen, welches wir in unserem Alltag wohl zumeist lieber verdrängen.
Publikationen HBL
- «Leiden verstehen lernen» (1994, vergriffen)
- «Wege aus der Trauer», (1999, vergriffen)
- «Trauern gehört zum Leben» (2002)
- «Wenn der Atem leiser wird», (2007, ISBN 978-3-905833-01-0)
- «…aber die Liebe bleibt» (2021, ISBN 978-3-905833-12-6)
- Patientenverfügung, Herausgeber HBL und Liechtensteinische Ärztekammer (seit 2006, aktuellste Auflage 2019)
- Umfrage zu verschiedenen Inhalten der HBL(2004 und 2020)