Von Dr. Marcus Büchel
Ich war eben damit beschäftigt, mit meiner Frau das Defilee kahler Rebstöcke in einem Südtiroler Weinlehrpfad abzunehmen, als mich eine alarmistische Tonfolge aus meinem Rucksäckchen meiner Kontemplation entriss. Jenes universelle Signal drang an mein Ohr, welches meldet, dass eine Whats-App-Nachricht eingetroffen ist. Nur unter grösster psychischer Kraftanstrengung gelingt es hin und wieder, den darauffolgenden Impuls zu unterdrücken, das Handy auszupacken, um festzustellen, wer einem was geschickt hat. Die Kraft fehlte in diesem Augenblick. Ein befreundeter Arzt gratulierte mir zu einem Erfolg, von dem er aus der Zeitung Kenntnis erlangt hatte. Dieser bestand darin, dass ich für eine Stiftung einen Vertrag mit einer Laufzeit von 70 Jahren unterzeichnen konnte.
Eins gab das andere, wir witzelten und taten so, als würden wir die Sache ernst nehmen. Also antwortete ich, ich bräuchte das Medikament nicht, denn ich würde die lebensverlängernde Dosis an Resveratrol aus einer natürlichen Quelle beziehen, nämlich aus dem Rotwein, den ich hier in Südtirol und andernorts in therapeutisch ausreichender Menge zu mir nähme.
Er verband den Glückwunsch mit dem ärztlichen Rat, dass ich mit der richtigen Dosis Resveratrol das Ablaufen der Vertragsdauer wohl noch in Amt und Würden erleben dürfte. Eins gab das andere, wir witzelten und taten so, als würden wir die Sache ernst nehmen. Also antwortete ich, ich bräuchte das Medikament nicht, denn ich würde die lebensverlängernde Dosis an Resveratrol aus einer natürlichen Quelle beziehen, nämlich aus dem Rotwein, den ich hier in Südtirol und andernorts in therapeutisch ausreichender Menge zu mir nähme.
Kein Witz ist, dass es sich bei Resveratrol um ein bekanntes Antioxidans handelt (wie etwa auch Vitamin C), bei welchem man wegen der Bindungsfähigkeit mit freien Radikalen eine protektive Wirkung auf Zellen, insbesondere eine tumorhemmende Wirkung, annimmt. Vor allem Aufgrund des im Rotwein enthaltenen natürlichen Resveratrol würden die Weintrinker in Frankreich und in Italien ein höheres Lebensalter erreichen als ihre abstinenten Geschlechtsgenossen. Ein Prosit also aufs Resveratrol im Wein! Und tatsächlich gibt es wissenschaftliche Belege für die protektive Wirkung von Rotwein.
Von einem Südtiroler Weinberg zu einem mittelalterlichen Gemälde
Mag die belegbare gesundheitliche Wirkung einer Substanz noch so klein sein, die Übertreibung folgt auf dem Fuss, wenn es dem Umsatz dient. So wirbt eine Firma für ihr Produkt mit dem Slogan: «Für immer jung mit Resveratrol». Dieser dreiste Werbespruch aus dem 21. Jahrhundert liess mich an ein Bild aus dem 15. Jahrhundert denken, welches ich im Salone Baronale des Castello della Manta nahe des piemontesischen Städtchens Saluzzo im vergangenen Herbst betrachtet hatte.
Das Jungbrunnen-Gemälde im Castello della Manta ist in Kunstkreisen wohlbekannt. Das Motiv war beliebt, da die Lebenserwartung damals weitaus geringer war als das Alter, welches ich bisher bereits erreicht habe.
Das spätgotische Fresko wurde im 15. Jh. von einem unbekannten Künstler, der als «Meister von Manta» benannt wurde, geschaffen. Im Ausstellungskatalog heisst es dazu: «Das Jungbrunnen-Fresko stellt mit vielen ironischen und witzigen Details die Verwandlung der kaum noch gehfähigen Alten in junge schöne Menschen dar, die nur noch ihre Vergnügungen, die Jagd und das andere Geschlecht im Kopf haben.» Das Jungbrunnen-Gemälde im Castello della Manta ist in Kunstkreisen wohlbekannt. Das Motiv war beliebt, da die Lebenserwartung damals weitaus geringer war als das Alter, welches ich bisher bereits erreicht habe. Im ausgehenden Mittelalter lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 28 Jahren. Entsprechend heftig war die Sehnsucht nach lebensverlängernden, die Jugend zurückzaubernden Mitteln. So verwundert es nicht, dass der Manta‘sche Jungbrunnen beileibe nicht der einzige ist. Eine berühmte Darstellung eines Jungbrunnens stammt von Lucas Cranach dem Älteren, der dieses Bild wenige Jahrzehnte später, im Jahre 1546, schuf. 1957 war sogar eine 500-Franken-Banknote mit einem, selbstverständlich helvetisch-züchtigen, Jungbrunneninterpretation bebildert.
Der Mythos des ewigen Lebens begleitet unsere Spezies, seit sich Homo der Endlichkeit seiner Existenz bewusst wurde. Einerseits die Vorstellungen eines transzendentalen Weiterlebens in anderer Weise nach dem Tod, in einem Paradies, einem Himmel, im Jenseits, in den Ewigen Jaggründen. (Die buddhistische Vorstellung der Wiedergeburt stellt keine Erlösung dar, sondern ewiges und daher mühsames Weiterleben in wechselnden Gestalten/Inkarnationen). Anderseits sind es Fantasien, wonach das diesseitige Leben, das einem gegeben ist, um Jahre verlängert oder gar ewig dauern wird. Heute geben Pharmaindustrie, plastische Chirurgie oder Ernährungsvorschriften vor, die Erwartungen der Gläubigen erfüllen zu können. Die Zeitschriften und Lifestyle-Magazine sind voll davon. Es scheint einen Zusammenhang zu geben: Je mehr die religiösen Vorstellungen von einem jenseitigen Leben verlustig gehen, desto mehr nehmen die Bedürfnisse der Verlängerung des Lebens zu. Jedenfalls sind die Mittel und Methoden, die versprechen, das Leben zu verlängern, ein Milliardengeschäft.
Lebenserwartung weltweit gestiegen
Aus heutiger Sicht wäre die Darstellung des Meisters von Manta nicht als blosse Ausgeburt der blühenden Fantasie eines Künstlers im ausgehenden Mittelalter zu interpretieren denn vielmehr als hellseherische Vorausschau. 400 Jahre nach dem Ableben des Meisters setzte eine gewaltige Entwicklung ein, die die gesamte Welt zu erfasste und die bis heute anhält: Hatte im Jahre 1800 die Lebenserwartung in keinem Land der Welt mehr als 40 Jahre betragen, begann sie im ausgehenden 19. Jahrhundert stark anzusteigen, zunächst und am dramatischsten in Europa. 1950 betrug sie 60 Jahre und 2020 bereits 80 Jahre. Die anderen Kontinente holten auf. «Besonders aufregend ist, dass sich das Geschenk der Langlebigkeit auf die gesamte Menschheit ausdehnt – es betrifft auch die ärmsten Länder der Erde und (erfasst diese) mit viel grösser Geschwindigkeit als vormals die reichen.» Besonders hoch ist die Lebenserwartung in Liechtenstein. Aktuellen Daten gemäss liegt die Lebenserwartung hierzulande bei den Frauen bei beinahe 86 Jahren; durchschnittlich drei Jahre weniger lang wandeln unsere Männer auf dieser Welt.
Statistisch betrachtet, drückte die sehr hohe Kindersterblichkeit den Durchschnittswert der Lebenserwartung am stärksten hinunter. Dementsprechend stieg dieser Wert «dramatisch», nachdem es gelungen war, die Kindersterblichkeit um das Hundertfache auf den Bruchteil eines Prozentpunktes in den entwickelten Industriestaaten zu senken. Weitere Gründe für die Erhöhung der Lebenserwartung sind in der Verbesserung von Ernährung und Hygiene sowie infolge medizinischer Errungenschaften zu suchen. Es steigt nicht nur das; immer mehr Menschen erreichen gesund und fit ein hohes Alter.
Entgegen einer weit verbreiteten Meinung konnten Menschen immer schon alt werden, wenn sie nicht Seuchen, Unfällen, Krieg und Gewalttaten zum Opfer fielen oder an Mangelernährung zugrunde gingen. Das liegt an unserer genetischen Ausstattung, welche sich in den letzten Jahrtausenden nicht verändert hat. Aber es waren eben nur wenige Individuen, die von allem Unbill der harten Lebensumstände vergangener Zeiten verschont, sich eines langen Lebens erfreuen konnten.
Die Lebenserwartung ist der zentrale Faktor, um Richtung und Ausmass der menschlichen Entwicklung darzustellen. Praktisch alle auf den Menschen wirkenden Einflüsse schlagen sich in der Lebenserwartung nieder: Unfälle, Kriminalität/Gewalt, Ernährung und Hygiene, Umwelt, medizinische Versorgung und ökonomische Bedingungen, ebenso wie familiäre und soziale Verhältnisse oder soziale Sicherheit. Aber selbst wenn sämtliche Bedingungen optimal wären, würde sich ewige Jugend nicht erreichen lassen, denn der Anstieg der Wachstumskurve wird immer flacher werden und einen Wert, der irgendwo über 100 Jahren liegt, nicht mehr überschreiten. Die Ursache dafür ist in der genetisch determinierten Alterung unseres Organismus, der Zellen und die Zellteilung schädigt, zu suchen.
Ewiges Leben
«Der Kampf ums Überleben ist der elementarste Trieb aller Lebewesen, und der Mensch setzt alle seinen Erfindungsreichtum und bewusste Entschlossenheit dafür ein, dem Tod so lange wie möglich zu trotzen.» Deshalb werde, so der Historiker Yuval Harari, die Menschheit im 21. Jahrhundert ernsthaft nach der Unsterblichkeit greifen. Der Schlüssel dafür liegt in der Genetik, denn es müsste gelingen, den biologischen Alterungsprozess zu manipulieren, zu verlangsamen, zu stoppen oder gar umzukehren. Das ist an sich kein Hirngespinst, denn es wird intensiv daran geforscht, die Mechanismen der Zellalterung und unzähliger pathologischer Prozesse, wie etwas das Entstehen von Tumoren, zu verstehen. Gelänge der grundlegende Umbau der Strukturen und Prozesse des menschlichen Körpers, würde die Fantasie des Jungbrunnens, die man sich vor 500 Jahren ausgemalt hat, Realität.
«Eine wachsende Minderheit von Wissenschaftlern» ist der Überzeugung, dass es das Vorzeigeunternehmen der modernen Wissenschaft sei, den Tod zu besiegen und den Menschen ewige Jugend zu verschaffen». Die Prognosen, wann das der Fall sein dürfte, gehen weit auseinander: 2050, 2100, 2200? Die Skeptiker zumindest an einer «zeitnäheren» Verwirklichung der Prognosen, zu denen Harari selbst zählt, sind in der Überzahl. Jedenfalls würde unsere Vorstellung von Menschsein völlig umstürzen, wenn die Wissenschaft bei der Abschaffung des Todes signifikante Fortschritte machte. «Sobald die wissenschaftlichen Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, werden sie erbitterte politische Konflikte auslösen. Es könnte sein, dass sich all die Kriege und Konflikte der Vergangenheit als blasses Vorspiel für den wahren Kampf, der vor uns liegt, erweisen: den Kampf um die ewige Jugend.»
Wollen wir unter der Nachwirkung der Bilder vom Jungbrunnen eine Flasche Gewürztraminer öffnen und darauf anstossen, dass gewisse Mythen noch möglichst lang Utopien bleiben mögen.