Nicht ohne seinen Bass. Von Gabi Eberle
Wir treffen den Vollblutmusiker in seinem Zuhause an der Haldengasse 47 in Eschen, wo im Untergeschoss auch die Tangente, 1979 als Galerie und Jazzclub von Jens Dittmar und Karl Gassner gegründet, beheimatet ist. Internationale Jazzgrössen waren dort über die Jahre zu Gast. Und sind es noch. Rund 15–18 Konzerte jährlich präsentiert der Hotspot für Jazzliebhaber seinem Publikum. Am 1. Juni dieses Jahres wird Karl Gassner 73, 2024 wird die Tangente 45. Geht die Historie weiter? «Mit ziemlicher Sicherheit, jedoch nicht mehr mit mir an vorderster Front. Im operativen Bereich möchte ich vieles in jüngere Hände geben. Ich habe das Loslassen gelernt. Lieber spät als nie», lacht er.
Musiker und Lehrer
In Schaan mit seiner drei Jahre älteren Schwester aufgewachsen, begann Charly im Alter von 15 Jahren, Musik zu machen. Der erster E-Bass zu Weihnachten, ein einschneidender Moment, fiel mit der ersten Bandgründung zusammen. Als Probelokal diente den «Cormycs», aus denen später «The Exzerpt of Time» wurden, der Schaaner «Bierhüsle»-Keller, es folgten Auftritte im Vereinshaus in Schaan (heute TaK) und dem damaligen Café Wolf in Vaduz.
Während seines Studiums zum Sekundarlehrer phil. 2, 1970–75 an der Uni Zürich war er in der Schweizer Grossstadt Bassist einer Rock-Jazz-Formation, machte parallel Tanzmusik in Liechtenstein. In den 80ern folgte der Kontrabass, seither sein ständiger Begleiter.
Stationen seines musikalischen Schaffens, begleitet von zig Auftritten im In- und Ausland: 1969 Gründung der Band «Apollos», 1971–75 Projekte mit Anne Frommelt, 1970–74 Bassist der Zürcher Jazz-Rock-Formation «Uxorious» die einen Bassisten suchte, 1973–76 Bassist/Sänger des Trios «Kings» (Tanz-/Unterhaltungsmusik), 1975–86 Bryan Jeeves Jazz Band, 1976–85 «Pauls Big Band»/St. Gallen, 2008–11 E-Bassist bei den «Zitternden Lippen» in Feldkirch, seit 2016 Kontrabassist bei der Liechtensteiner Senioren-Band «Schuanis 7», 2020 entstand daraus wiederum «Madame chante le Blues», 2020 das «Porrima Ensemble», wo französische Chansons mit Texten von Artemis Anne Frommelt gespielt werden.
«Gemeinsam Musik zu machen ist ein Erlebnis im Hier und Jetzt, wenn es swingt und gut klingt …»
1975 kam Charly an die Realschule Eschen. Seine Kollegen um die 40, 50, er der «Wilde mit langem Haar». Es wurden 35 Jahre daraus, davon 20 als Stundenplaner – damals noch ohne PC –, während zweier Perioden als Schulleiter. «Es war eine spannende, schöne Zeit. Mein Ziel war stets, die Kinder dort abzuholen, wo sie standen. Mein Credo war ‹Die Gabe des feurigen Wortes›. Wissensvermittlung funktioniert, wenn dies in einer Sprache erfolgt, welche die Schüler verstehen. Grund für meine Frühpensionierung 2010 war nicht die Lehrertätigkeit, sondern die Bürokratie, welche zunehmend überhandnahm.»
Gründer und Sammler
Ein weiteres seiner «Babys»: die Liechtensteinische Kunstschule. Gemeinsam mit Bruno Kaufmann im Vorstand der Liechtensteinischen Kunstgesellschaft, machte Charly 1992 Nägel mit Köpfen – Gründung, Aufbau und Realisation der Liechtensteinischen Kunstschule. Erster Standort war die ehemalige Primarschule in Eschen, mit Bruno Kaufmann als erster Lehrer und künstlerischer Leiter, Karl übernahm die Administration. Nach vielen erfolglosen Bemühungen um Unterstützung durch die Regierung sagte Karl 1995 «und tüschüss». Die Kunstschule Liechtenstein, heute in Nendeln, ist bis heute eine Erfolgsgeschichte geblieben.
Und da gibt es noch den «Horter und Sammler». Für die Tangente auf vergeblicher Suche nach umfangreichen Informationen über Künstler, begannen er und Jens Dittmar, Zeitungsberichte zu sammeln. Nach dessen Ausstieg sammelte Charly weiter – bis heute. Berge von Material türmten sich in der Garage, welches der damalige Kulturbeitratspräsident Josef Braun als «kulturelles Gewissen Liechtensteins» und dementsprechend förderungswürdig erachtete. Seit 1988 wird nun die Dokumentationsstelle Kunst in Liechtenstein geführt, 2005 erfolgte die Gründung der entsprechenden Stiftung. Mittlerweile lagern im Liechtensteinischen Landesarchiv 800 Ordner, deren Inhalt digitalisiert und über die Website www.dkl.li weltweit genutzt wird.
Zum Sammler noch das Stichwort Oldtimer – und damit ist nicht der Interviewte gemeint: Mitte der 70er-Jahre erwarb der scheinbar niemals schlafende Schaaner einen weissen Jaguar. Diesem folgten weitere «alte Herren auf Rädern». Und so war er 1994, wie kann es anders sein, Mitbegründer des Motor Veteranen Clubs Liechtenstein, von 2000–01 fungierte er als dessen Präsident. Mittlerweile längst Ehrenmitglied, nutzt er die guten Stücke nur noch für Ausfahrten im Sommer. «Auch das war eine wichtige, schöne Zeit, die gemeinsamen Ausfahrten, Erlebnisse, Rennen … unvergesslich.»
Was war und was kommt
Lebensmittelpunkt seiner erwachsenen Kinder Sonja und Martin ist Baden und Zürich. Für sie entstehen zurzeit zwei Häuser in der Nähe von Karls Wohnadresse. Gefragt nach seinen fünf einschneidendsten Lebensstationen, nimmt Karl ein Stück Papier zur Hand. Rasch ist er so weit: «Die Eröffnung der Tangente, die Scheidung 1989, verbunden mit der Trennung von den Kindern, der Steinway-Flügel – eine Schenkung zum 35-Jahre-Tangente-Jubiläum, 2019 der Josef Gabriel von Rheinberger-Preis, verliehen von der Gemeinde Vaduz, Eintauchen in die spirituelle Welt.»
Und was steht noch auf seiner «bucket list»? Dinge, die er noch tun, erreichen, erleben möchte? Charly erbittet etwas Zeit, bedient die Kaffeemaschine. «Gesund altern, noch viel realisieren dürfen, die Tangente und das Musizieren so lange wie möglich machen können, das laufende Bauprojekt erfolgreich abschliessen, noch mehr in die Spiritualität eintauchen, mehr reisen.» Kürzlich verbrachte Charly einige Wochen auf Mauritius, unter anderem zum Musizieren. «Die kulturelle und religiöse Vielfalt dort, die Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen hat mich beeindruckt, berührt und wirkt nach.»