von Mathias Ospelt
Im Nachlass des im August des letzten Jahres verstorbenen Werner Ospelt fand der Autor dieses Beitrags eine Mappe mit verschiedenen bisher unveröffentlichten handschriftlichen Texten rund um die Arbeit im Weinberg anno dazumal. Ein Teil dieser Texte, die leider nicht mehr genau zu datieren sind, stammt von Werner selbst, ein anderer von seiner Mutter, der Mundartdichterin Ida Ospelt-Amann. Es liegt nahe, dass irgendwann einmal geplant war, diese Texte zu gegebener Zeit zu publizieren. Wie so vieles, das Werner zu Lebzeiten noch im Sinn hatte. Mit einer Collage der handschriftlichen Aufzeichnungen von Mutter und Sohn soll dem verstorbenen Chefredaktor des 60PLUS eine kleine Reminiszenz erwiesen werden.
Vadozer Räbschtock, der alti Gsell,
läbt scho viilhundert Joor.
Er förcht ka Röfi, er kennt der Rii,
er läbt jo uni Gfoor.
Er ischt an edla, treua Gascht
zo allna Zitta gse,
wo ma im Schloss domm gwörtät hät,
hei‘s o mengs Rüschli gee.
Mir hend o viil mee Törkel ka,
es wemmer net vergässa,
dört hen si Glägahät denn ka
zom Suufa, Singa, Fäschta. (IOA)
[…]
Ma hät dia Wingert witter pflägt,
mengs Büürli hät vo sim Ertrag schlächt gläbt.
D Arbät ischt dia gliich all bleba
und aso würd sii vo mir beschreba:
[gruaba]
Im Früalig kunnt zerscht s Gruaba dra.
Das allä ischt Arbät gse för a Maa.
Hät ma a toti Räba müasa ersetza,
ka Pflanza hät s gee zom Setza,
a alti Räba hät ma verjüngt. (IOA)
Gruaba:
Näbät dr aalta Räba hät ma a 30 cm tüüfi Gruab graba. Ma hät di aalt Räba glockarät, damet ma si hät könna bögga und i Gruab ihi lega. Vorhär hät ma no i di neu Gruab än Steckäl ihi ghaua. D Worza ischt bim alta Stock bleba. Denn hät ma zwä Treb/Schoss vo dr aalta Räba än Steckäl hära bunda. Hät 10 cm Dräck drzua gworfa und met Mescht zuadeckt. Do druus ischt denn di neu Räba entschtanda. (WO)
(Hierzu ist zu bemerken, dass es sich hierbei nicht um eine Anleitung handelt, wie abgestorbene Reben kostengünstig ersetzt werden können, sondern es ist viel eher eine Beschreibung, wie dies in früheren Zeiten gemacht wurde. Inzwischen ist diese Form der Verjüngung sehr umstritten, da sie die Verbreitung von Rebkrankheiten und Schädlingen fördern kann.)
Dünga:
Der Buur treet met der Krätza
Mescht dor Zellata uus
und streut a metra Gabla.
Karscha:
Jätz aber muas ma gi karscha,
s ischt Meenerarbät gse.
Aber mengs Wiib hät o müasa
dia Arbät öbernee.
Stoossa:
Der Maa goot jätz gi stoossa,
klockt d Steckel in Boda fescht,
ersetzt der fuul met ma neua,
es ischt doch s allerbescht.
Dia Steckel hen denn Buura
im Winter sälber gmacht.
Vom Losholz usra Foora
hen si dia Steckel gschafft. (IOA)
Räba schniida:
Amana schööna Miarzatag ischt ma in Wingert, um dr Räbschtock vrjünga und schööner formiara. Voräm Schniida hät ma dia Räba gnau schtudiart. D Räba hät ma iitäält in än Unter- und Oberschenkel und i dr Metti hät ma a sogenannts «Knächtli» uusgscheda.
Im Miarza, s kunnt ufs Wätter a,
goot s Räbaschniida a.
Kritisch wörd dr Stock betrachtät
und ufs nögscht Joor scho druuf gachtet,
dass dr Schnett sei fachgerächt.
Unterhalb und oba,
bi jedäm Schnett 6 Ooga,
und ir Metti noch än Knächt.
Denn hät ma dia Räbzweig gschnetta
und a jedäm Schenkel 4-6 Ooga stoo loo.
S gschnetta Räbholz hät ma för Bördili
und die abghauana Ruata zom
Iifüüra met häm gnoo. (WO)
(Hierzu ist zu bemerken, dass man von Jahr zu Jahr beobachten kann, wie sich die Winzer – hier handelt es sich praktisch ausschliesslich um Männer – immer früher in den Wingert begeben, um mit dem Schneiden loszulegen. Ging es früher erst im März los, um den Reben eine möglichst lange Erholungspause zu gönnen, sieht man heutzutage bereits kurz nach Weihnachten erste rege Tätigkeiten in den Weinbergen. «Die armen Reben!», ist man versucht zu sagen.)
Binda:
Ma holt vo Rii und Röfi
Underschtöös vo Wiidaband
met dena bindt ma d Räba
an Steckel ghöörig a.
Ma macht an bsundriga Dröller,
dass Band fescht hebän dra. (IOA)
Baal siat ma d Blättli sprüssa
und d Trüübli föra schüssa
und wenn si den blüan
kamma dr härrlig Doft gnüssa.
Häämlig ka der Winzer hoffa
ufa guats Joor,
aber bis zom Herbscht beschtoot
noch mengi Gfoor. (WO)
Wird fortgesetzt.
Glossar:
- Bördili: gebundenes Holz
- Dröller: Dreher, im Sinne von: eine Schlaufe machen
- Foora: Föhre
- Karscha: mit einer schweren Haue, dem Karscht, den Boden aufrauhen (auch: Karschtna)
- Knächt: auch Zapfen
- Krätza: Scharreisen
- Gruaba: vergraben
- Steckel: zugespitzter, dünner Pfahl, z. B. als Stütze für Reben
- Underschtöös: Mehrzahl von Unterstoss, ein Bündel von 30–50 Weidenbändern, die zum Aufbinden der Reben dienen
- Wiidaband: Weidenrute, die zum Binden oder Flechten benutzt wird
- Worza: Wurzel
- Zellata: Zeile, Reihe an Drahtreben
Die Schreibweise wurde grundsätzlich so übernommen, wie sie in den Originaltexten verwendet wurde, manches wurde aber bezüglich einer besseren Lesbarkeit geändert. Dies betrifft Vokallängen, die durch eine Verdoppelung des Vokals vereinheitlich wurden und wodurch Schreibungen wegfielen wie sie in der Standardsprache verwendet werden, um Längen aufzuzeigen («Vokal plus h», «ie» oder «y»). Ebenso wurde «st/sp» nur im Wortinnern als «scht/schp» geschrieben. Am Wortanfang gilt «St/Sp». Das «ck» wurde aufgrund der besseren Lesbarkeit beibehalten.