von Gabi Eberle
Geboren und aufgewachsen in Vaduz, seit 1999 mit Ehefrau Sonja in Triesen wohnhaft, im Januar dieses Jahres 80 geworden. Schon als Bub an Zahlen interessiert, begleitete Jochen Hadermann seinen Vater allsamstäglich ins Büro, traf Lebensentscheidungen vornehmlich «Kopf vor Bauch», geradlinig, konsequent. Auch ohne grünen Daumen weiss sich der Wirtschaftswissenschaftler zu beschäftigen.
Seine Statur lässt auf Sportlichkeit schliessen. Die Vermutung bestätigt sich: Skitouren mit dem Liechtensteiner Alpenverein in der Schweiz und Südtirol, u. a. St. Antönien, einige 4000er wie Dom und Weisshorn im Wallis, 1989 mit Skiern auf dem Elbrus in der Sowjetunion, mit 5642 höchster und markantester Gipfel Europas. Auch das Matterhorn hatte er im Visier: «Die 16 Bergführer auf der Hörnlihütte sagten Schönwetter voraus. Schlussendlich hat es heftig geschneit, und vorbei war’s mit dem Aufstieg.» Heute begleitet ihn seine 16-jährige Enkelin Lorena gerne auf Wanderungen in Liechtensteins Bergen. «Sie ist vernarrt in die Berge, zieht diese sogar dem Zürichsee vor.» Familie, die einen nah, die anderen weiter entfernt, bedeutet ihm viel: Sohn Patrick, Physiotherapeut, lebt mit den beiden Töchtern im Kanton Aargau, Tochter Tatjana, Biologin und Juristin, mit Ehemann und Sohn in Ruggell, die Jüngste, in Uetikon/ZH verheiratet, hat zwei Töchter.
Behütete Kindheit, ereignisreiche Jugendjahre nach der Matura
Jochens Eltern kamen 1932 aus ökonomischen Gründen von Esslingen nach Liechtenstein, die Mutter Buchhändlerin aus gutem Hause, der Vater arbeitete in Frankfurt an der Oder für eine Bettfedernfabrik. Dort wurde er arbeitslos und fand in Liechtenstein bei der Bettwarenfabrik Hanauer & Schmidt (heute Dorbena) im Mühleholz in Vaduz eine Anstellung, war später deren Direktor. Nach einigen Wohnungsumzügen folgte 1951 der Hausbau.
Jochen und sein älterer Bruder Jörg wurden während des 2. Weltkriegs geboren, Hanspeter(+) schon 1928 in Frankfurt a/Oder. Die Schwester verstarb bereits im Kindesalter, 1938, an einem Hirntumor – für die Eltern ein schmerzlicher Einschnitt. «Wir wuchsen gutmittelständisch, tolerant, aber trotzdem mit Grenzen auf, waren viel draussen in der Natur, im Wald. Nachmittags gab es gemeinsam mit der Mutter einen Zvieri und im Sommer ging’s von klein auf für drei Monate ins Malbun, damals noch mit Pferd und Wagen, allem Gepäck über das alte Tunell. Die Eltern standen immer hinter mir», blickt er wertschätzend zurück. Gut erinnert sich Jochen auch an die Zeit bei den Pfadfindern: «Als Protestant musste ich nicht zum Gottesdienst, richtete währenddessen das Frühstück, was die Kollegen toll fanden. Es gab viele schöne Erlebnisse, u. a. die Tätigkeit als Vizefeldmeister beim Aufbau einer Abteilung in Eschen gemeinsam mit einem Freund, auf Wunsch von Prinz Emanuel.»
Nach dem Besuch der Mittelschule im Marianum Vaduz und Erlangen der mittlere Reife absolvierte der Vaduzer die Kantonsschule in Chur. «Ich verbrachte drei Monate im Konvikt. Meine Mitbewohner kamen aus Disentis, brachten Käse mit. Wegen des üblen Geruchs im Zimmer gab es ständig Streit – ich machte nachts das Fenster auf, die anderen wieder zu. Das Ganze endete in einer Prügelei zwei gegen einen. Daraufhin suchte ich mir kurzerhand ein Zimmer in Chur», erzählt Jochen lachend. Es folgten zwei Jahre Praktikum beim Bankverein St. Gallen, dann ging’s nach England, wo er eine Stelle in der Buchhaltung/Nachkalkulation einer grossen Automobil-Zulieferfirma, vermittelt durch seinen in Deutschland lebenden Onkel, antrat. «Das Geld war knapp und so arbeitete ich auch samstags.» Mit vielen Erfahrungen und dem Proficiency (Beleg für herausragende Englischkenntnisse) in der Tasche, kehrte der damals 21-Jährige nach Hause zurück.
Von der HSG ins Bankgeschäft
Das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der HSG in St. Gallen – 1974 Promotion mit einem wirtschaftssoziologischen Thema der Raumplanung, eine Gemeinschaftsdissertation – entsprach Jochens Interessen und Zielen. «Die Assistenz bei Professor Nydegger brachte mich voran. Mein Hobby war Staatsrecht.» Zwischenzeitlich verheiratet, ein Sohn kam zur Welt, schlug er nach reiflicher Überlegung ein berufliches Angebot in Amerika aus. «Das Geld hätte knapp gereicht. Kurz darauf stieg der Dollar, und so war es wohl gut, einen anderen Weg eingeschlagen zu haben.»
Der Kontakt zu Liechtenstein blieb
«Ich trat der Studentenverbindung Rheinmark bei. Im Sommer traf man die alten Kollegen, tauschte sich aus, es gab Vorträge zu Verfassung und Fürst. Vor den Wahlen jedoch wurde ich, mit deutschem Pass, links liegengelassen, was mich schon sehr kränkte.» Nach mehreren erfolglosen Ansuchen um Einbürgerung – verheiratet mit einer Schweizerin, wohnhaft in St. Gallen, drei protestantische Kinder, waren die Voraussetzungen schlecht – «wurde es mir zu dumm, was ich auch kundtat. Ein ‹Roter› und ein ‹Schwarzer› nahmen sich dann der Sache an. Mit 40 erhielt ich schliesslich die Liechtensteiner Staatsbürgerschaft.» Dass er bei acht angetretenen Kandidaten hinsichtlich der Jastimmen letztendlich Platz sieben einnahm, war ihm herzlich egal. Die breite berufliche Laufbahn des Wirtschaftswissenschaftlers in Kurzform: Von 1975 bis 1991 bei der VPBank, Aufbau des Inspektorats, Wechsel ins aktive Geschäft und später Mitglied der Geschäftsleitung. Kurz Direktor bei der Confida, Vaduz, von 1992 bis 2004 Geschäftsführer der neu gegründeten Centrum Bank. Dort auch Mitglied und zeitweilig Vizepräsident des Liechtensteinischen Bankenverbandes. Mit 61 entschied er sich zum frühzeitigen Ausstieg. Ohne grosse Pläne hinsichtlich der Zeit nach der Pension, nahm er nach einem halben Jahr Pause die Anfrage der Regierung, als Verwaltungsratsmitglied der Finanzmarktaufsicht zu fungieren, an, bekleidete dieses Amt während fünf Jahren, war von 2008 bis 2022 Vorstandsmitglied des Liechtenstein-Instituts sowie mehrere Jahre Vizepräsident der Liechtensteinischen Gesellschaft für Umweltschutz LGU.
Engagements aus Überzeugung
Jochen Hadermann stand und steht zu seiner Meinung, tut diese auch öffentlich kund. Unbequem, aber umgänglich? «Das kommt darauf an. Ich vertrete meine Werte und Ansichten, scheue keine Diskussion, wenn sie moralisch anständig geführt wird.»
So auch, als es beim Bankenverband 1995 um den EWR-Beitritt Liechtensteins ging. Wegen seines öffentlich geäusserten Neins wurde er von einigen direkt, anderen indirekt geschnitten. «Auch das ging vorbei, aber ich empfand es als Diskriminierung. Trotzdem habe ich bis heute nie aufgehört, für meine Meinung einzustehen. In jüngster Zeit habe ich regelmässig an den Monatskundgebungen mit den vielen Informationen zu den Coronamassnahmen teilgenommen, war auch bei Demonstrationen in der Schweiz dabei, da wir in Liechtenstein praktisch alles von der Schweiz – dem BAG – übernehmen ‹mussten›. Der Einsatz unserer demokratischen Instrumente ist mir sehr wichtig.»
Weder Lerche noch Eule
Obwohl nie der aufbrausende Typ, ist er ruhiger geworden, liest, viel – die Landeszeitung, «Finanz & Wirtschaft», «NZZ» -, besucht gerne Buchhandlungen, wählt an Literatur querbeet aus, was ihn gerade anspricht oder aktuell interessiert. Trotz mangelnder Heimwerkerqualitäten und ohne grünen Daumen für den Garten zuständig, «klappt das, den Anweisungen meiner Frau folgend, ganz zufriedenstellend. Mein Bruder ist das genaue Gegenteil. Schon als Bub sammelte er in Liechtenstein Orchideen.» Macht sich der 80-Jährige, der sich weder der Lerche noch der Eule zuordnet – sprich, er steht morgens problemlos auf, kann aber auch bis spätnachts wachbleiben – Gedanken, was «danach» kommt? «Meine Frau und ich haben uns über längere Zeit mit dem Buddhismus beschäftigt, nahmen an einer Pilgerreise durch Indien teil und uns mit dem Meditieren vertraut gemacht. Obwohl es eine eindrückliche Erfahrung war und mich diese Religion mehr überzeugt als der christliche Glaube, kann ich die These, nach 48 Tagen als Adler, Schmetterling oder in anderer Form – je nach Leben, das man geführt hat – wieder zurückzukehren, nicht wirklich nachvollziehen, habe dies aber mit Interesse zur Kenntnis genommen», meint er augenzwinkernd. Direkt nach unserem Gespräch geht’s mit Ehefrau Sonja und einem Roman des japanischen Schriftstellers Murakami Haruki für einige Tage zum Verweilen und Wandern ins Malbun. Die Leidenschaft für die Berge bleibt.