von Gabi Eberle
Als Feministin bezeichnet zu werden, ist für sie ein Lob, Gleichberechtigung selbstverständlich. Bereits als Studentin trat sie der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bei. Gymnasiallehrerin, Historikerin, Geschäftsführerin der infra, Informations- und Beratungsstelle für Frauen, über Jahrzehnte in der Frauenbewegung aktiv, bei der Freien Liste vorne dabei – Claudia Heeb-Fleck war mit Familie, Beruf und politischem Engagement lange auf hohem Zeit- und Energielevel unterwegs. Ein Wendepunkt zwang sie zum Innehalten, die Weichen neu zu stellen. 60 zu werden war für die überzeugte Humanistin ein Grund, das Leben zu feiern.
«Ich habe mich von der Angst nicht lähmen lassen, mein Augenmerk auf den Weg durch den Tunnel gelegt und mir an dessen Ende eine grüne Wiese vorgestellt. Meine psychische Stärke und mein Optimismus kamen mir zugute – die Bärin in mir war noch da.»
Es gab ein grosses Fest mit Familie, Freunden, Nachbarn. Das war 2019. Zwei Jahre zuvor sah sie sich von heute auf morgen mit einer Krebsdiagnose konfrontiert. «Das ganze Leben ändert sich. Obwohl kaum Schmerzen und mit bestmöglicher medizinischer Versorgung waren die Therapien hart.» Claudia Heeb-Fleck geht offen mit ihrer Krankheit um. «Ich habe mich von der Angst nicht lähmen lassen, mein Augenmerk auf den Weg durch den Tunnel gelegt und mir an dessen Ende eine grüne Wiese vorgestellt. Meine psychische Stärke und mein Optimismus kamen mir zugute – die Bärin in mir war noch da.» Familie, Freundeskreis, die Nachbarn standen ihr bei, trugen sie durch die herausfordernde Zeit. «Das Umfeld ist neben dem medinischen Aspekt und eigenem Zutun entscheidend. Es gab so viele wunderbare Erlebnisse, für die ich dankbar bin.»
Heute geht es ihr, trotz erneut notwendiger Therapien, sehr gut. «Die Nebenwirkungen schränken meine Lebensqualität zwar ein, aber nicht über die Massen. Ein Leben mit Krebs kann auch ein gutes sein.»
Damals … von Säckingen nach Liechtenstein
Claudia Heeb-Fleck, in einer Grossfamilie mit vier älteren Brüdern, einer jüngeren Schwester aufgewachsen, war 15, als ihr Vater eine Arbeitsstelle in Liechtenstein antrat. Der Ortswechsel vom deutschen Säckingen, nahe der Schweizer Grenze in ein ihr unbekanntes Land war eine Herausforderung, musste sie doch ihr soziales Umfeld inklusive bester Freundin zurücklassen. Am hiesigen Gymnasium galt es, Latein, Geometrie und Französisch nachzulernen. Bald fand sie Anschluss, fühlte sich wohl, integriert und … lernte dort ihren heutigen Mann Pius kennen. Nach der Matura 1980 ging es zum Studium – Biologie im Neben- und Geschichte im Hauptfach – nach Bern. 1988 zurück, baute sie sich hier ihr Leben auf. «Liechtenstein wurde zu meiner Heimat, der Dialekt zu meiner emotionalen Sprache. Von Anfang an war klar, dass ich mich in der Frauenbewegung engagiere.» Eine Rebellin also? «In der Familienkonstellation war ich eher ruhig, pflegeleicht, lief in der grossen, lebendigen Familie unkompliziert mit. Es gab Aufgaben, Regeln, aber auch viele Freiheiten. Wir hatten ein offenes Haus, konnten Freundinnen und Freunde mitbringen. Meine rebellische Zeit begann erst zu Beginn der Studienzeit; ich wurde selbstbewusster, wollte mitdiskutieren, die Welt verbessern.»
Emanzipation und Politisierung
Ihre Mutter lebte traditionell, war aber eine starke Frau, die sich ihre Freiräume schuf. «Für mich war es selbstverständlich, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, das Frauenstimmrecht ein Menschenrecht ist.» Ihre Politisierung begann bereits in der Schul- und Studienzeit. Sie beschäftigte sich mit der Kolonialisierung, dem Imperialismus, nahm Ungleichgewichte in der Weltstruktur wahr, erfasste Diskriminierungen auf vielen Ebenen, ökologische Themen kamen hinzu. Ihr Engagement für die Gleichstellung nahm zusehends grösseren Raum ein und so trug ihre Lizentiatsarbeit 1988 denn auch den Titel «Frauenarbeit in Liechtenstein in der Zwischenkriegszeit 1924–1939». Zurück in Liechtenstein, fasste sie in der Frauenbewegung Fuss, engagierte sich bei der Freien Liste. «Emanzipation ist ein steter Prozess und bedeutet für mich Engagement für ein gleichberechtigtes, chancengleiches, menschenwürdiges Leben für alle, Frauen, Männer und queere Menschen.» Ein erster Meilenstein im Land war aus ihrer Sicht das Frauenstimmrecht 1984, die rechtliche Gleichstellung bis 1999 mehr oder weniger erreicht. «An der faktischen hapert es nach wie vor, unter anderem im Erwerbsleben. Es ist wichtig, dass Frauen erwerbstätig bleiben, ihr Leben selbstbestimmt und möglichst unabhängig gestalten können. Bis zum Zeitpunkt der Familiengründung gelingt es heute vielen Paaren, gleichberechtigt zu leben. Dann kommt der Bruch. Die Hauptverantwortung für die Carearbeit, die Betreuung der Kinder und den Haushalt, bleibt in der Familienzeit bei den Frauen – und führt zu vielen negativen Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt und in der Sozialversicherung. Hier ist auch der Staat angehalten, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen», ist Claudia Heeb-Fleck überzeugt.
Rück- und Ausblick
Bald 40 Jahre verheiratet, zwei Kinder, Nora (27) und Dominik (29), die mittlerweile auf eigenen Beinen stehen, ein schönes Familienleben, und auch beruflich wie politisch konnte sie sich verwirklichen. «Die Zeit war intensiv und oft anstrengend. Im Rückblick hätte ich jedoch nichts anders gemacht», zieht die ehemalige Geschäftsführerin der infra Resümee.
Weiterhin investiert sie Zeit und Einsatz in ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten – als Vorstandsmitglied im Verein Frauennetz Liechtenstein, als Gründungs- und Vorstandsmitglied im Verein Frauen in guter Verfassung, seit Längerem im Aufbau eines Frauenarchivs sowie aktuell in der Vorbereitung des Jubiläums «40 Jahre Frauenstimmrecht», welches im kommenden Jahr gefeiert wird, involviert. Sie hat jedoch gelernt, das Tempo zu drosseln, sich genügend Freiräume und Erholungszeit zu schaffen, auf sich zu achten. «Heute brauche ich viel weniger Arbeitsdisziplin, kann auch mal Fünfe gerade sein lassen. Die Diskussionen rund um das Thema Gleichberechtigung, von denen ich unzählige geführt habe, ermüden mit der Zeit. Aber wenn bei mir die richtigen Triggerpunkte angestossen werden, fange ich immer noch Feuer und kann im Engagement auch mal überborden», bemerkt Claudia Heeb-Fleck lachend.
Eingebunden im familiären, freundschaftlichen und nachbarschaftlichen Netz, geniesst sie ihre freie(ere) Zeit, Bewegung in der Natur, macht öfters Urlaub – gerne auch im Tessiner Ferienhaus, wo sich mittlerweile ein «Liechtensteiner Dörfchen», eine gesellige Gruppe gebildet hat. «Ich war schon immer und bin nach wie vor ein Gemeinschaftsmensch.» Da passt ihre heimliche Leidenschaft, mit der sie auch ihre Kinder angesteckt hat, bestens dazu: Gesellschaftsspiele in allen Variationen.
Mein zweiter, etwas hilfloser Wunsch bezieht sich auf die aktuelle Weltlage, Stichworte Ukraine, Gaza/Israel. Dort fordern autoritäres Machtstreben, Unterdrückung und Terror unzählige zivile Opfer und verursachen furchtbares Leid.
Zum Schluss des Gesprächs erscheint eine imaginäre gute Fee mit der Nachricht, Claudia Heeb-Fleck habe drei Wünsche frei … Die Antworten kommen rasch. «Dass hinsichtlich des Klimawandels, der, wenn wir weiterhin so langsam handeln, unumkehrbar ist, das Ruder herumgerissen wird und von Politik, Wirtschaft und von jeder einzelnen Person wirksame Massnahmen ergriffen und umgesetzt werden – damit auch für die nachfolgenden Generationen ein lebenswertes Dasein möglich ist. Mein zweiter, etwas hilfloser Wunsch bezieht sich auf die aktuelle Weltlage, Stichworte Ukraine, Gaza/Israel. Dort fordern autoritäres Machtstreben, Unterdrückung und Terror unzählige zivile Opfer und verursachen furchtbares Leid. Ich fühle mich ohnmächtig und ratlos und es wäre allzu schön, gäbe es eine Fee, die die Gewaltspirale durchbrechen und einer nachhaltigen Konfliktlösung zum Durchbruch verhelfen könnte. Als Letztes ein wieder realistischerer Wunsch: Ich wünsche mir, dass es der jungen Generation gelingt und auch ermöglicht wird, in Bezug auf Gleichstellung und Selbstbestimmung partnerschaftlich zu leben, dass sie hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einer fairen Aufteilung der Betreuungs- und Haushaltsarbeit einen Schritt weiterkommt als meine Generation.»