von Marcus Büchel
Gedanken zur Volksabstimmung über einen Ergänzungskredit für den Neubau des Liechtensteinischen Landesspitals.
Wenn Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, dieses Magazin in den Händen halten, wird die Abstimmung über den Ergänzungskredit für den Neubau des Landesspital bereits entschieden sein. Zur Meinungsbildung wird dieser Artikel allenfalls bei jenen wenigen Stimmbürgern beitragen, welche sich bei der Lektüre daran erinnern, dass sie am Sonntag noch einen Gang zur Wahlurne vor sich haben. Man mag, wenn man möchte, die Gedanken als eine Nachlese betrachten oder als Anstoss zur Reflexion nehmen.
Im November 2019 hatte sich bekanntlich eine Mehrheit der Stimmbürger für den Neubau des Landesspitals (LLS) ausgesprochen. Es war damals ohne Schwierigkeit vorauszusehen, dass sich eine Pandorabüchse öffnen würde, wenn die Umsetzung des Volkwillens auf die lange Bank geschoben werden würde. In der Tat kam es so. Nachdem beinahe fünf Jahre ins Land gezogen sind, ohne dass auch nur ein Ziegel gesetzt worden wäre, eröffnete sich für die Gegner des Landesspitals mit dem vom Landtag genehmigten Ergänzungskredit eine opportune Gelegenheit. Gegen diesen Kredit wurde das Referendum ergriffen. Natürlich wurde sofort klar, dass es nur vordergründig ums Geld ging, also um jene sechs Millionen Franken, einem verhältnismässig geringen Betrag in Höhe von 10 % der Gesamtkosten, der angesichts der finanziellen Potenz des Landes einen geradezu vernachlässigbaren Mehraufwand darstellt. In Wirklichkeit sollte das Gesamtprojekt Landesspital zu Fall gebracht werden. Der Hebel, der sich dafür bot, war der Nachtragskredit. Um die sechs Millionen an sich ging es nicht.
Dies zeigte sich in der heftig geführten Diskussion, in der Zweifel am Gesamtprojekt vorgebracht, Kritik geäussert, eine Palette an Forderungen erhoben wurde. An Forderungen, was statt des Geplanten gemacht oder unterlassen werden sollte, bestand kein Mangel. Die Auseinandersetzungen zwischen LLS-Befürwortern, Neubaugegnern und LLS-Abschaffern erreichte eine ungewohnte Heftigkeit. Mitunter wurden die Grenzen zum Zynismus überschritten «Vorwärts in die Vergangenheit mit einem Dorfspital.»1 Die Belastung, welcher die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LLS durch Verunsicherung, eine ungewissen Zukunft und entwertende Kritik ausgesetzt war, war deutlich zu spüren. Wer möchte schon so etwas!
Der Souverän hatte bereits 2019 einen Grundsatzentscheid getroffen, indem er Ja sagte zum Neubau des Landesspitals. Da dieser Grundsatzentscheid nicht erneut zur Abstimmung stand, ist der Versuch, das ganze Projekt durch eine Detailthematik wieder in Frage zu stellen, letztlich als Missachtung des Volkswillens zu interpretieren.2
Überall, wo Spitäler geschlossen werden, pflegt sich die Bevölkerung dagegen zur Wehr zu setzen. Bei uns ist ein umgekehrtes Phänomen zu beobachten: Den Befürwortern stehen Exponenten gegenüber, die – man muss es so sagen – leidenschaftlich gegen ein eigenes Spital kämpfen, mit einer Leidenschaft, als gelte es, etwas Böses zu verhindern. Der Ausgang ist noch offen. Jedenfalls hätte der Erfolg zu Ende gedacht zur Folge, dass die Liechtensteiner in Zukunft alleine im Ausland mit Spitalsleistungen versorgt werden müssten. Rational betrachtet, können Mitbürger, die stationäre medizinische Leistungen lieber in der Schweiz in Anspruch nehmen, dies in freier Entscheidung für sich tun (die liechtensteinischen Krankenkassen bezahlen medizinische Leistungen in der Schweiz in der Regel3). Andererseits fehlt es bei vielen, die die medizinische Auslandsversorgung suchen, häufig an der Bereitschaft, jenen Mitbürgern, die eine Versorgung im eignen Land bevorzugen, die Strukturen, die sie brauchen mitzufinanzieren. Wenn es zutreffend wäre, wie in einem Leserbrief behauptet wurde, dass nur 50 % der Bevölkerung eine Versorgung im Landesspital wünschen, müsste die andere Hälfte aus Solidarität für ein Landesspital stimmen.
Liechtenstein läuft immer wieder Gefahr, in strukturelle Armut, nicht zuletzt im medizinischen und sozialen Bereich zu gleiten. Es mangelt in aller Regel nicht am Geld vielmehr am Selbstvertrauen, dass wir selbst dazu fähig sind, der Bevölkerung essenzielle medizinische und psychosoziale Einrichtungen zur Verfügung stellen zu können. Unsere Obsession zur Risikovermeidung4 macht uns zu ängstlichen Verwaltern. Für Aufgaben, in denen die Unwägbarkeiten des Lebens spielen, die entsprechend risikobehaftet sind, sucht Liechtenstein deshalb geradezu reflexartig Lösungen in der Schweiz. Die Liste wäre lange, es sei exemplarisch auf die Auslagerung des Geburtsaktes in Schweizer Spitäler und der stationären Palliativpflege5 verwiesen.
Ein Land, das seinen Bürgern Heimat sein will, muss ihnen Obsorge und Hilfe bei Krankheit, Behinderung, psychischer und wirtschaftlicher Hilfsbedürftigkeit selbst angedeihen lassen. Heimat erweist sich als der Ort, wo man behütet ins Leben gleiten und aus dem Leben scheiden darf. Es sind gerade diese existentiellen Eckpunkte des Lebens, an denen eine Grenze zur technizistischen Manier des Outsourcings zu ziehen ist. Der liechtensteinische Erdenbürger darf sich nicht gezwungen sehen, den Anfang und das Ende seines Lebens im Ausland zubringen zu müssen. In weiser Voraussicht formulierte Günther Fritz, der frühere Chefredaktor des Vaterland diesen Gedanken vor genau zehn Jahren in einem Kommentar zur Schliessung der Geburtenabteilug im Landesspital: «Müssen wir jetzt nicht nur zum Gebären, sondern auch bald zum Sterben ins Ausland?»
Es wäre Ausdruck deterministischer Pseudogenauigkeit, heute vorhersagen oder gar bestimmen zu können, wohin sich das Landesspital entwickeln kann und soll. Das Landesspital muss ein Ort sein, an dem nicht Starrheit herrscht, sondern Entwicklung im Vordergrund steht. Das Eingehen auf die medizinischen Bedürfnisse der Bevölkerung stellt einen dynamischen Prozess dar und muss als ständige Anpassung an sich verändernde Verhältnisse gedacht werden. Dazu benötigt man moderne, gut ausgebaute Strukturen, die kompetenten, engagierten Fachleuten gute, flexible Rahmenbedingungen bieten. Ohne ein modernes Gebäude wird das nicht gehen.
Je besser dies gelingen wird, desto mehr wird sich gutes Personal, Ärzte und weitere medizinische Fachleute, Liechtensteiner und Nichtliechtensteinerinnen, finden, die am Landesspital arbeiten möchten. Eines ist für mich klar: Es muss möglich sein, im Landesspital das Licht der Welt zu erblicken und ebenso sich dort in Würde verabschieden zu können: Geburtsabteilung und Geriatrie sind für unser Land im zweifachen Sinne existenziell.