von Gabi Eberle
Wer kennt es? Eben noch gemütlich durch die Regale geschlendert, packt einen beim Blick zur Schlange an der Kasse leichte Beklemmung, wohl wissend, was nun kommt. Vorsorglich wird das Portemonnaie aus der Tasche geholt, welches beim Aufladen der Waren aufs Band zu Boden fällt, dummerweise gleichzeitig mit dem Mobiltelefon. Ein innerlicher (oder auch äusserlicher) Schweissausbruch erfasst einen und das milde Lächeln des dicht nachfolgenden Kunden, hinter welchem man leichte Ungeduld zu erkennen glaubt, macht die Sache auch nicht besser.
Dann geht’s erst richtig los: «Beep, beep, beep …» – gefühlt im Hundertstel-Sekunden-Takt zieht die Kassiererin Joghurt, Tomaten und Co. über den Scanner. Spätestens wenn der nächste Kunde einem am Rücken klebt, sich die Waren auf dem Transportband stauen, man gleichzeitig bezahlen, die Einkäufe verstauen und je nachdem noch irgendeine Bonuspunkte-Karte einscannen möchte, fühlt sich das Ganze wie ein Hochgeschwindigkeitsrennen an.
Schnell und noch schneller
Fakt ist: Die Schnelligkeit beim Kassieren ist für viele Kunden bei Discountern ein Stressfaktor. Die Konzerne geben den Takt vor, die Kassiererinnen müssen ihn umsetzen, sprich, möglichst viele Produkte in kürzester Zeit einscannen. Sie sind dazu angehalten, so effizient wie möglich zu arbeiten. Dadurch, so ist es z. B. von Aldi und Lidl bekannt, wo gemäss Statistik (echo24.de/September 2023) das Abkassieren am schnellsten vonstatten geht – im Schnitt müssen die Kassierer dort 55 Artikel pro Minute scannen –, können die Preise so niedrig gehalten werden. Effizienz gehört zu deren wichtigsten Prinzipien und die Kunden müssen damit zurechtkommen. Speziell betroffen sind Betagte oder körperlich Beeinträchtigte.
Dieses Ungemach hat eine Supermarktkette in den Niederlanden erkannt und 2019 eigens sogenannte «Plauderkassen» eingerichtet, an denen man sich Zeit lassen oder auch mal einen Schwatz mit der Kassiererin halten kann. Gleichzeitig soll so Kunden mit wenig Zeit das Warten hinter langsameren Menschen erspart werden. Das sinnvolle Konzept war ein voller Erfolg und wird bis heute beibehalten.
Eine Möglichkeit, hierzulande dem nervenaufreibenden «Kassen-Horror» zumindest etwas beizukommen, ist zum Beispiel die Wahl der Einkaufszeit: Der späte Dienstagvormittag gegen 11 Uhr ist der Zeitpunkt, wo die geringsten Umsätze gemacht werden, sprich, die niedrigste Kundenfrequenz gemessen wird, und auch der Mittwoch ist ein eher ruhiger Tag. Zu meiden sind der Samstag und die Feierabendstunden.
Konkret werden im Geschäft mindestens an einem Wochentag für einen bestimmten Zeitraum verschiedene Massnahmen durchgeführt – etwa das Licht zu dimmen, keine Durchsagen oder Musik abzuspielen und keine lauten Gespräche zu führen.
«Stille Stunde» gegen Reizüberflutung
Weitere Faktoren, welche das Einkaufen beim Discounter besonders für Menschen mit sensibler Wahrnehmung zur Belastung werden lassen, sind grelle Beleuchtung, Lautsprecherdurchsagen, Musik oder das Piepsen an der Kasse. Sie sorgen dafür, dass die Konzentration leidet, der psychische und physische Stresspegel steigt. Eine nachahmenswerte Lösung für entspanntes Einkaufen ist die «stille Stunde», die im englischsprachigen Raum auch «quiet hour» oder «silent shopping» genannt wird. Die Idee kommt von Theo Hogg, einem Angestellten eines neuseeländischen Supermarkts mit autistischem Kind. Dort wird die stille Stunde bereits flächendeckend seit 2018 praktiziert. Das Angebot richtet sich an Menschen mit Autismus und sensibler Wahrnehmung. Dabei ist der geringere Geräuschpegel auch für nicht betroffene Kunden und Angestellte angenehm. Konkret werden im Geschäft mindestens an einem Wochentag für einen bestimmten Zeitraum verschiedene Massnahmen durchgeführt – etwa das Licht zu dimmen, keine Durchsagen oder Musik abzuspielen und keine lauten Gespräche zu führen. Die Regale werden in dieser Zeit nicht mit Waren befüllt und die Geräusche an der Kasse reduziert.
In Grossbritannien (Tesco/Asda/Aldi) und Deutschland (Edeka, teilweise Rewe) steigt die Zahl der teilnehmenden Geschäfte, jedoch gibt es noch kein flächendeckendes Angebot. In der Schweiz bietet zum Beispiel Spar in zwölf Filialen im Kanton Zürich und Aargau jeden Dienstag von 15 bis 17 Uhr und am Donnerstag von 18.30 bis 20 Uhr das reizarme Einkaufen an, bei Coop wurden bisher lediglich Pilotprojekte lanciert, Lidl und Migros zieren sich. Im Kanton St. Gallen, Liechtenstein und Vorarlberg, so ergab die Recherche, bietet bisher kein Supermarkt eine «stille Stunde» an.
Basismassnahmen «stille Stunde» im Supermarkt
• mindestens eine Stunde wöchentlich
• Licht möglichst dimmen
• keine Durchsagen oder Musik
• keine lauten (Handy-)Gespräche
• keine aktiven Displays
• Geräusche an der Kasse reduziert
• Angestellte deutlich gekennzeichnet für Unterstützung
• Waren werden in dem Zeitraum nicht sortiert/eingeräumt