Fragen zum Coronavirus
Liechtenstein hat das Coronavirus bisher gut in den Griff bekommen, so dass die von der Regierung verfügten und empfohlenen Einschränkungen und Massnahmen ab Ende April etappenweise immer mehr gelockert werden konnten.
Weitere Informationen: www.regierung.li/coronavirus verwiesen. Das Interview wurde Mitte Juli geführt.
Warum ist das Coronavirus SARS-Covid-2 gefährlicher im Vergleich zu einem normalen Grippevirus?
Seit Beginn der Ausbreitung des Coronavirus hält sich das Gerücht, dass das Virus nicht gefährlicher als die Erreger der Grippe sei. Diese Einschätzung ist falsch. Das neuartige Virus SARS-CoV-2, welches zur Krankheit COVID-19 führt, ist weit mehr als nur ein weiterer Erreger von Atemwegsinfekten. Anders als Grippeviren kann dieses viele Organe befallen und schädigen, nicht nur die oberen Atemwege und die Lunge. Wir wissen deutlich weniger über das Coronavirus als über Grippeerreger und noch immer gibt es keine spezifischen Medikamente und keine Impfung dagegen. Auch ist nicht mit einer bedeutenden bestehenden Immunität zu rechnen, so dass sich dieses Virus schnell ausbreiten kann. Dadurch könnte das Gesundheitswesen überlastet werden und es könnten Personen an beruflichen Schlüsselstellen fehlen. Das Virus ist also nicht nur eine medizinische Gefahr für die Erkrankten, sondern wie bei jeder Epidemie auch eine Gefahr für das Funktionieren unseres Systems.
Haben wir in Liechtenstein die Corona Krise überwunden und können wir bald zum Leben vor der Corona zurückkehren?
Die Massnahmen, welche die Regierung in Zusammenhang mit dem Coronavirus erlassen hat, wurden in der Zwischenzeit grösstenteils aufgehoben, was die Rückkehr zur Normalität weitestgehend erlaubt. Das Virus ist jedoch nicht verschwunden und in anderen Ländern kommt es wieder zu einem Anstieg von Neuinfektionen. Vorsicht ist also auch in Liechtenstein weiterhin dringend geboten. Gerade jetzt in der Sommerzeit stehen viele Reisen an, hier mahnt die Regierung zu besonderer Vorsicht.
Zudem hatten wir auch Glück, dass es beispielsweise kurz vor den ersten Massnahmen während der Fasnacht in Liechtenstein nicht zu einer grossen Anzahl Infektionen gekommen ist.
Was für Gründe haben hauptsächlich dazu beigetragen, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern bisher gut durch diese Krise gekommen sind?
Liechtenstein hat sehr rasch weitgehende Massnahmen ergriffen und diese wurden von der Bevölkerung grossmehrheitlich gut angenommen und strikt umgesetzt. Dies hat sicherlich zur Verhinderung einer Ausbreitung beigetragen. Zudem hatten wir auch Glück, dass es beispielsweise kurz vor den ersten Massnahmen während der Fasnacht in Liechtenstein nicht zu einer grossen Anzahl Infektionen gekommen ist. Auch haben wir uns mit höchster Priorität um genügend Testkapazität gekümmert und konnten in der kritischen Phase genügend Tests durchführen.
Liechtenstein arbeitet ja in der Coronakrise eng mit der Schweiz zusammen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit und wird dies auch in Zukunft weitergehen?
Wir haben eine offene Grenze zur Schweiz und das Schweizer Epidemiengesetz ist über den Zollvertrag auch in Liechtenstein anwendbar. Entsprechend ist die Zusammenarbeit insbesondere mit dem Schweizer Bundesamt für Gesundheit, den Gesundheitsdirektoren der Kantone und den kantonalen Amtsärzten sehr eng. Diese gute Zusammenarbeit werden wir sicherlich auch in Zukunft beibehalten.
Ziel dieser App ist es, Menschen zu warnen, die sich für eine bestimmte Dauer in der Nähe einer mit dem Coronavirus infizierten Person aufgehalten haben, sofern die App bei beiden Personen auf dem Mobiltelefon installiert ist.
Könnten Sie sich auch vorstellen, in Liechtenstein eine Corona-Warn-App einzuführen wie in Deutschland und jetzt auch in der Schweiz, um uns im Kampf gegen Corona zu unterstützen?
Die Schweizer App (SwissCovid App) kann auch in Liechtenstein verwendet werden. Ziel dieser App ist es, Menschen zu warnen, die sich für eine bestimmte Dauer in der Nähe einer mit dem Coronavirus infizierten Person aufgehalten haben, sofern die App bei beiden Personen auf dem Mobiltelefon installiert ist. Für eine Nutzung in Liechtenstein ist diesbezüglich insbesondere wichtig, dass die App grenzüberschreitend genutzt werden kann.
Wie gross ist die Gefahr einer zweiten Welle und was können wir tun, um eine solche zu vermeiden?
Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass die Gefahr einer zweiten Welle durchaus besteht. Davor sind wir auch in Liechtenstein nicht gefeit. Wichtig ist, dass die Hygiene- und Verhaltensempfehlungen, die wir in unserer Kampagne «HebenSorg» bewerben, weiterhin konsequent eingehalten werden. Das ist der beste Schutz.
Die meisten Leserinnen und Leser von 60PLUS gehören zur Risikogruppe der über 65 Jährigen, für die das Virus gefährlich und sogar lebensbedrohlich sein kann. Warum sind ältere Personen besonders gefährdet?
Oft sind ältere Personen besser auf Viren vorbereitet, weil sie im Laufe ihres Lebens schon viele Viren «kennengelernt» haben und ihr Immunsystem gelernt hat, mit vielen Viren umzugehen. Entsprechend sind es meist die Jüngeren, welche von neuen Viren stärker betroffen sind. Das scheint bei diesem Virus aber anders zu sein. Die Erfahrungen, die seit Ausbruch des Virus in den Gesundheitssystemen der verschiedenen Ländern gesammelt werden konnten, zeigen, dass bei älteren Personen die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs der Krankheit viel grösser ist, als bei jüngeren Personen. Entsprechend ist die Sterblichkeit für ältere Menschen auch viel höher. Dies hat insbesondere damit zu tun, dass bei älteren Menschen mehr Vorerkrankungen vorliegen und ihre Körper nicht gleich auf das Virus regieren.
Besondere Vorsicht galt und gilt daher bei dieser Risikogruppe weiterhin. Auch viele junge Menschen, bei denen eine Infektion mit grosser Wahrscheinlichkeit einen milden Verlauf gehabt hätte, haben starke Einschränkungen hinnehmen müssen.
Diesen Personen hat man dringend geraten, den sozialen Kontakt und die Nähe zu den Angehörigen und den Enkelkindern weitestgehend einzschränken. Zudem wurden Besuchs- und Ausgangsverbote für Alters- und Pflegeheime erlassen. Das war für viele sehr schwierig. Warum musste das sein?
Alle Massnahmen dienten und dienen dazu, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. Die Gefahr eines schweren Verlaufs der Krankheit besteht in besonderem Masse für ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen. Besondere Vorsicht galt und gilt daher bei dieser Risikogruppe weiterhin. Auch viele junge Menschen, bei denen eine Infektion mit grosser Wahrscheinlichkeit einen milden Verlauf gehabt hätte, haben starke Einschränkungen hinnehmen müssen. Die Erfahrungen im Ausland zeigen zudem, dass Pflegeheime besonders stark betroffen sind und auch bedeutende Quellen einer Weiterverbreitung des Virus waren. Daher wurden in diesen Einrichtungen besonders strenge Massnahmen umgesetzt, auch wenn diese bedauerlicherweise starke Einschränkungen für die Bewohner und ihre Verwandten mit sich brachten.
Sollten sich Personen der Risikogruppe auch künftig schützen und wie sollten sie sich am besten schützen?
Vorsicht ist weiterhin geboten. Dies betrifft nicht nur die Risikogruppen, sondern uns alle. Auch wer selbst nicht schwer erkrankt, kann das Virus weitergeben an eine Person, die dann vielleicht schwer erkrankt. Der beste Schutz ist weiterhin die Wahrung des Abstandes zu anderen und die strikte Einhaltung der Hygienemassnahmen.
Die Einschränkungen für die Bevölkerung sind seit Ende April etappenweise stark gelockert worden. Ist die Bevölkerung in Liechtenstein auch weiterhin gefährdet sich anzustecken. Was empfehlen Sie, um dies zu vermeiden?
Wie die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, besteht die Gefahr von neuen Infektionen nach wie vor. Sehr schnell kann sich die gegenwärtig sehr positive Situation wieder verschlechtern. Vorsichtiges Verhalten ist daher weiterhin von zentraler Bedeutung. Nebst der Vorsicht möchte ich in diesem Zusammenhang auch die Verantwortung jedes Einzelnen unterstreichen. Personen mit Symptomen müssen beispielsweise unbedingt zu Hause bleiben und sich einem Test unterziehen.
Es ist Sommer, Ferienzeit! Kann man auch ins Ausland reisen, um Ferien zu machen oder sollte man besser im Inland bleiben?
Auch wenn in der Zwischenzeit viele Reiserestriktionen aufgehoben und Grenzen wieder geöffnet wurden, rät die Regierung nach wie vor zu Zurückhaltung bei Reisen ins Ausland. Bei Reisen kommt man mit vielen Personen in Kontakt und auch Personen, die keine oder nur ganz geringe Symptome aufweisen, können die Krankheit weitergeben. Ich empfehle insbesondere von Reisen in Länder mit starkem Infektionsgeschehen abzusehen. Ich selbst werde den Sommer wie immer in unserer schönen Region verbringen.
Wie lange muss man vor dem Coronavirus noch Sorge und Angst haben?
Angst ist generell ein schlechter Ratgeber. Das Thema Coronavirus wird uns wohl aber noch einige Zeit begleiten. Auf ein angepasstes individuelles Verhalten – beispielsweise durch Abstandhalten und Handhygiene – sollten wir uns alle für längere Zeit einstellen. Vielleicht werden wir auch unser Verhalten längerfristig ändern und beispielsweise auf Händeschütteln verzichten. Als Unterländer fällt mir das leicht, denn das war zu der Zeit als ich aufgewachsen bin, höchstens an Geburtstagen üblich.
Wenn Sie ein Fazit der letzten Monate ziehen müssten, wie würde dieses lauten?
Es war eine herausfordernde Zeit. Die Geschwindigkeit, mit der sich eine Epidemie ausbreitet, lässt keine Zeit zum Verschnaufen. Die Regierung musste unter grossem Zeitdruck sehr weitgehende und schwierige Entscheide treffen. Wir haben neben einigen gesetzlichen Massnahmen stark auf Verantwortungsbewusstsein, Disziplin und gesunden Menschenverstand gesetzt und ich denke, dass das richtig war. Aber die Pandemie ist noch nicht vorbei.
Lebenslauf
Mauro Pedrazzini wurde 1965 in Eschen geboren. Er maturierte im Jahr 1985 am Liechtensteinischen Gymnasium in Vaduz. Anschliessend studierte er Physik, Chemie und Astronomie an der Universität Bern, wo er von 1990 bis 1991 auch als Forschungsassistent am Laboratorium für Hochenergiephysik tätig war. Den Doktortitel erlangte er im Jahr 1996 am Forschungszentrum für Plasmaphysik der ETH Lausanne. Von 1992 bis 2001 hatte er darüber hinaus auch mehrere Positionen bei der Balzers AG inne, darunter die eines Projektleiters, des Leiters des Engineerings und der Abteilung Forschung und Entwicklung. Zeitgleich absolvierte Pedrazzini von 1997 bis 1999 ein berufsbegleitendes Wirtschaftsstudium an der Universität St. Gallen. Zwischen 2001 und 2013 war Pedrazzini Finanzanalyst und Fondsmanager bei der Liechtensteinischen Landesbank, ab 2003 war er bei deren 100-prozentigen Tochtergesellschaft LLB Asset Management AG beschäftigt und dort ab 2006 Leiter des Aktienmanagements. Nach der Landtagswahl in Liechtenstein 2013 wurde Pedrazzini als Regierungsrat vom liechtensteinischen Landtag vorgeschlagen und vom Regenten Erbprinz Alois ernannt. Als solcher führt er das 2013 neu gegründete Ministerium für Gesellschaft, welches die Ressorts Soziales, Gesundheit sowie Familie und Chancengleichheit beinhaltet. Seit Februar 2020 leitet Pedrazzini den Stab «neuer Coronavirus 2019-nCoV» im Zuge der COVID-19-Pandemie in Liechtenstein, der die Entwicklungen rund um das neue Coronavirus beobachtet und notwendige Massnahmen für Liechtenstein koordiniert.