Von Mathias Ospelt
Momentan wird den treuen Bewohnerinnen und Bewohnern unseres Landes gebetsmühlenartig suggeriert, dass Liechtenstein vor dem Abgrund steht. Marodierende Soldaten, Hungerjahre, Spanische Grippe, Arbeitslosigkeit, Weltkriege, Rheineinbruch, . . . und und und kommen alle dem Leben auf einem Fürstlichen Ponyhof gleich, vergleicht man sie mit den Einschränkungen, mit denen wir aktuell geknechtet werden. Und doch. Sorgen hatte immer irgendjemand. Irgendwann. So auch zu Beginn des Jahres 1892.
Kürzlich wurde dem Autor dieses Beitrags ein bezüglich der heimischen Mundartforschung äusserst interessantes Dokument zugestellt. Es handelt sich um ein «Eingesandt» eines unbekannten Verfassers aus den «Mittheilungen des Liechtensteinischen landwirtschaftlichen Vereins an seine Mitglieder» vom Januar 1892. Unter Umständen dürfte es sich hierbei um eines der ältesten, wenn nicht gar das älteste Beispiel einer literarischen Verschriftlichung eines der Liechtensteiner Dorfdialekte handeln.
Aber man sollte nicht vergessen, dass es sich hierbei um einen der ersten Versuche handelte, den Dialekt in ein geschriebenes Korsett zu zwängen.
Selbstverständlich werden der Dialektpuritaner und seine Frau bei der Lektüre dieses Textes hin und wieder aufgrund der eigenwilligen Schreibweise die Nase rümpfen. Aber man sollte nicht vergessen, dass es sich hierbei um einen der ersten Versuche handelte, den Dialekt in ein geschriebenes Korsett zu zwängen. Und dies in einer Zeit, als allgemein geltende Dialekt-Schreibweisen noch in ferner Zukunft lagen.
Daher gilt für alle anderen: Viel Spass bei der Lektüre! (Die in Klammern angeführten Erklärungen wurden vom Autor unter Zuhilfenahme des Schweizer Idiotikons sowie Herbert Hilbes «Triesenberger Wörtersammlung» vorgenommen.)
Us der Burastuba am Triesnerberg. (Eingesendet.)
Hans: Guata Abend! Heider z’Nacht ka?
Sepp: Ja, es ist verbi! – Bis au Gottwilcha [Sei auch gottwillkommen], Hans! Jetz bist scho a Wiel nümma zuoisch ko; setz di an Tisch, so kast doch au d’Arma uflega. Wenn ma da ganza Tag g’schaffat hed, wie as Veh, so wär ma froh, wenn ma sich am Abend en Biz gütli thua könnt.
Hans: Ja, ja – gütli thua – für das wird scho g’sorgat, dass ünsch arma Bürli nüd z’guat g’schieht. Der Gmeindsweibel het mer hüt das hürig Stürbüchli brunga und wieni das g’läsa ha, bini aso ids Ufuri ko [bin ich so zornig geworden], dass mi nümma g’litta hed, bi mim warma Ofa, und ha zu mina Lüta g’seid: Jetz gani a Wiel zum Nochbur Sepp uf ga losa, obs dem au aso grüblat und wurmat im Maga wie mir.
Sepp: Ja, ich ha mis Stürbüchli au ubercho und scho g’läsa und hetmer nid nu grüblat und gwurmat im Maga, sondern au noch zwickt und zuckt i alla Knocha, so bald ich die grausam Allerheiligen-Litanei nu agluagat ha. – Da müsst Eina en rechta Henna-Maga ha, wenn er dera Züg so licht verdaua könnt.
Berger hätten au Ursach z’bäta: Herr, erbarme dich unser und verschone uns o Herr, sowohl als wir mit üsara Wuhrstüra.
Hans: Wenn ma aber d’Zitig gläsa hed vom 25. Dezember v. J., wa d’Umlaga va alla G’meinda im ganza Ländli vorcho sind, händ d Triesnerberger die allerkleinst Umlag ka, blos 3 %, und da werden d’Landlüt denkt ha: die dumma Berger da doppa händ guat lacha, die händ nüd s’zahla, geget wir [im Vergleich zu uns]. – Aber dena sött ma jetz ünschi Büchli a d’Nasa heba kuna und wennsch de das Sündaregister g’läsa hätten, würdensch wol säga: Berger hätten au Ursach z’bäta: Herr, erbarme dich unser und verschone uns o Herr, sowohl als wir mit üsara Wuhrstüra.
Sepp: Ja, Hans, da hest Du ganz recht; äda a mal en Gugg i üns Büchli we g’sund für d’Landlüt, schi sägen doch albi, wir seien besser dra as schie. – Aber weisst Du au, Hans, was mich am allerergste verzürnat, va allem, was i ünschem Büchli vorchunt?
Hans: Nei, was de?
Sepp: Der alljährig, grossmächtig Zuchtstiera-Verlust. –
Hans: Grad nett aso [Gerade so] geits mir, da sind wir Bed ganz uber ei Leist [da sind wir völlig einer Meinung]. – Jetz trifft’s hür wieder uf’s Häuptli Veh [ein Stück Vieh] 98 kr. [Kronen] Stiera-Verlust – also uf all Vehb’sitzer bina 500 fl. [Gulden]. Ist das nid hirnwüthig [Ist das nicht Irrsinn]?!
Sepp: Wol frili. – I hätt‘ scho mengs mal g’rad us der Hut springa muga, wenn’s mügli g’si we, wenn i aso druber nachdenkt ha, i was für grausamme Zwangsjacka jetz di arma Bürli allweg igschnürt werden. – Und jetz muss Di noch ädas frega: Was chund Dir ärger vor, Hans, die hürig Geisspfändig i Gugerboda vom Triesner Waldvogt oder ünschi ufzwengti Zuchtstierahaltarei?
Hans: Zwischat dena zwe Sacha finde ich nur der Unterschied: En derartige Geisspfänderei ist bim Mannsdenka [seit Menschengedenken] noch nie vorcho und kund au, will’s Gott, lang nüma oder viellicht nie meh vor; de wiema hört, händ die meista Triesner selber kä Freud dra ka, aber ünschi kostspielig Stiera-Gschicht durat jetz scho me as 20 Jahr und nimmt schients gar käs Ufhöra me, bis wir all‘ mit einandra z’Grund gand.
«Nicht alles Alte ist gut, und nicht alles Neue ist schlecht, prüfet Beide und behaltet das Beste.»
Sepp: Nei, Hans, so verzwiflat muss ma die G’schicht doch nid uffassa. – All mitanandra gand nid grad z’Grund; wenn Eina laufa la muss, hebt wieder en Andra dafür. Ma muss nid grad Alls uber’s Kneu abbrecha oder s’Kind mit dem Bad usschütta; ma muss mit der Zit in alla Sacha, so gut es mügli ist, rationell vorwärts schrita, suss geit ma hinderschi, drum heisst ein Sprichwort: «Nicht alles Alte ist gut, und nicht alles Neue ist schlecht, prüfet Beide und behaltet das Beste.» Aber bi dera Gschichta das Besta ussa z’finda, ist äba kä lichti Ufgab, drum seit ein anderes Sprichwort: «Allen Leuten recht gethan, ist eine Kunst, die Niemand kann.»
Hans: Das ist ganz richtig: Alla Lüta ka mas nie recht macha; aber ünschi gegawärtig Zuchtschtiera-Wirthschaft ist gar Niemand recht und dass ma die nid besser aranschiera könnt, brecht mi kein Kapuziner z’brichta.
Sepp: Was meinst de, wie könnt ma die G’schicht äda in as bessars Gleis bringa?
Hans: Wir händ ja vorhi scho g’seid, dass wir jetz die kostspielig Vehveredlig scho me as 20 Jahr triba händ und jetz sind wir mit alla grausama Ukosta i so viel Jahra noch nid amal so wit cho, dass wir endli as eiges Stierli hätten, das vo der Landeskommission agnu wurd und werden älle Jahr zwengt, dera pöplata [verwöhnt], glatta [gleich aussehend] und triebna [gemästet] Stallkalber [im Stall gehaltene Kälber] us der Schwiz z’hola, die mengmal viel schlechter sind, as ünschi galpata [den Sommer über auf die Alp gebracht], ruchhaaraga [abgehärtet] Stierli wären, die wir me as um d’Hälfti billiger ha könnten und de blub’s Geld i der Gmeind. Drum hättis [hielte ich es] für viel g’schieder, wenn ma us der Gmeinds-Kassa uf 4 va da schönsta, selber ufzogna Stierli jedem 40–50 fl. Prämi gäb, de wurden ünsch Bura au me druf verwenda, as annehmbars Stierli ufz’bringa.
Sepp: Ja, Hans, da muss i Dir wieder ganz Beifall gä. Wenn ma 4 va da schönsta Stiera jedem 50 fl. Prämie gäb, so müchs 200 fl., und de bluben älle Jahr 200 bis 300 fl. i der Kassa und das müsst doch arma Jeda besser g’schmecka, als älli Jahr dera grossa Summa us dene arma Bürli ussa pressa und ids Usland träga.
Vo der Abstammig hed aber ünschi Gmeindstiera-Kommission, die älli Jahr zum Akauf die Zuchtstiera mit beladenem Geldsäckel id Schwiz geid, gwönlig gar kä Uberzügig. Es wär bi da meista au sehr schwer, d’Wahrhet inna z’wera.
Hans: Und wie sind wir au scho grenzalos ag’schmürbt [angeschmiert] worda mit dena glatta, vierfüssige Stallpopi! Us wie mengem hets scho en pura [nichts als], nüdnutzaga Koga gä, sobald er uf d’Alpa cho ist? Und scho vo mengem, wa ma für da schönsta ka hed, sind fast luter schlechti Kalber g’falla, wiel er vonara schlechta Rassa abg’schtammat hed. I der Schwiz gilt ein Zuchtstier nu de für zweckdienli, wenn er als rassafähig bekannt ist. Vo der Abstammig hed aber ünschi Gmeindstiera-Kommission, die älli Jahr zum Akauf die Zuchtstiera mit beladenem Geldsäckel id Schwiz geid, gwönlig gar kä Uberzügig. Es wär bi da meista au sehr schwer, d’Wahrhet inna z’wera. Bi ünscha eigna Stierli ging das alls viel lichter. – Jetz aber meini, mer wellen bald ga schlafa. Das landwirthschaftli Blättli hed ja i schim Neujahrswunsch g’seid: «S’Lamentiara und s’Verzwifla nötzt ned vil und us der Hut fahra ka ma o nett.» Und drum wöwerisch jetz mit dem trösta: Der landwirthschaftli Verein, der doch in alla landwirthschaftlaga Zweiga en guata Rath z’gä weiss, werd auch i dem Stuck bald ädas Bessersch in Anregung bringa und durchz’führa wissa. – Also guat Nacht, Sepp!
Sepp: Guat Nacht, Hans! Komm bald wieder!
(Anmerkung der Redaktion. Wir haben diese Einsendung unverändert aufgenommen, obwohl wir mit dem Inhalt derselben in manchen Punkten nicht einverstanden sind. Manches ist ganz richtig gesagt. Wir behalten uns übrigens vor, in der nächsten Nummer gleichfalls in der «Burastoba» auf diese Sache zurück zu kommen.)
Bemerkung: Das Dokument wurde kürzlich vom Historiker cand. dr. Cornelius Goop ausgegraben und wurde dem Autor von dem mit Goop bekannten Historiker Jürgen Schremser zugestellt.