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60Plus | Mundart | Juni, 2023
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Strassennamen

von Mathias Ospelt

 

Strassennamen sind auch in unseren digitalen Zeiten nach wie vor ein wichtiges analoges Mittel der Auffindbarkeit. Auch wenn heutzutage kaum mehr jemand einen Brief schreibt oder eine Postkarte verschickt, so sind nach wie vor nicht nur Gäste, Post, Rechnungssteller, Paket-Lieferanten, Rettungsdienste u. s. w., sondern auch GPS-Dienste auf dieses bewährte Orientierungssystem angewiesen. Selbst wenn man nicht immer versteht, was sich hinter dem Strassennamen verbirgt.

Beginnen wir die heutige Ausgabe der Mundartseite mit einem kleinen Rätsel. Was bedeuten bzw. worauf beziehen sich diese exotisch anmutenden Strassennamen?

  • Alberweg (Balzers)
  • Badudaweg (Schaan) bzw. Bagudaweg (Vaduz)
  • Dröschistrasse (Triesen)
  • Kartennaweg (Vaduz)
  • Heragass (Balzers) und Heraweg (Eschen)
  • Werlaweg (Vaduz)

Ein Tipp: Drei dieser Strassennamen beziehen sich auf Pflanzen, einer beruht auf einer Berufsbezeichnung, einer auf einer Tätigkeit und einer auf einem Tier.

Die Lösungen findet der geneigte Leser, die geneigte Leserin bei der genauen Lektüre dieses Beitrags.

Noch gar nicht so alt

Es ist erst hundert Jahre her, seit man in Liechtenstein damit angefangen hat, den damals noch staubigen Strassen offizielle Namen zu verleihen. Zuvor musste zur Orientierung der bestehende Flurname sowie eine Hausnummerierung dienen, die nicht auf einer nachvollziehbaren Reihenfolge, so wie wir sie heute kennen, beruhte, sondern sich nach der Chronologie der Entstehung der Häuser innerhalb einer Gemeinde richtete. Gerade für Fremde war dieses Orientierungssystem undurchschaubar und führte oft genug zu grosser Ratlosigkeit. Ein Leserbeitrag, erschienen im «Liechtensteiner Volksblatt» vom 21. April 1923, brachte es humoristisch auf den Punkt:

«Sitzen da abends in einem Gasthaus ein Einheimischer und ein Fremder zusammen. Ersterer will ihm die Lage einer Villa kenntlich machen: «Es ist die rosarote Villa da oben, Sie haben sie sicher schon gesehen». Der Fremde kann sich nicht entsinnen, obwohl er den Ort schon verschiedentlich durchwandert hat. Der andere erreifert [sic] sich: «Aber sicher haben Sie sie gesehen! Auf der einen Seite liegt eine braune Villa, auf der andern eine gelbe, gegenüber eine blaugrüne – «Hören Sie auf», sagt der Fremde. «So genau habe ich mir ein Haus nicht gemerkt, aber wenn die Wege Namen hätten, wüsste ich gleich, was Sie meinen».

Als letzte Gemeinde des Landes wechselte schliesslich Triesenberg ab dem 1. Januar 2010 vom rein chronologischen Nummernsystem auf eine mit der neu eingeführten Strassenbezeichnung verbundenen systematischen Nummerierung.

Vaduz machte damals den Anfang. Vermutlich, weil es am meisten und zudem oft gutsituierte Ortsfremde aufwies. Diesem Beispiel folgten nach und nach alle anderen Gemeinden. Als letzte Gemeinde des Landes wechselte schliesslich Triesenberg ab dem 1. Januar 2010 vom rein chronologischen Nummernsystem auf eine mit der neu eingeführten Strassenbezeichnung verbundenen systematischen Nummerierung. Zum Leidwesen vieler wurde dabei den bestehenden Strassennamen, die Bezug auf eine Flurbezeichnung nahmen, der Zusatz «-strasse» angehängt. So heisst es zum Beispiel seither statt «Täscherloch» neu «Täscherlochstrasse».

Mundartnamen

Aber was hat das alles nun mit der Mundart zu tun? Nun, es gibt zahlreiche Strassennamen in Liechtenstein, hinter denen sich Mundartbegriffe verbergen. Und hiermit sind nicht jene Namen gemeint, die sich auf bestehende mundartliche Flurnamenbezeichnungen beziehen, sondern Strassennamen, denen bewusst ein oftmals kaum mehr verwendeter Mundartbegriff verliehen wurde. Weshalb man dies tat? Vielleicht, um der notgedrungenen Zerstörung der Landschaft durch ein neues Quartier oder eine neue Zufahrtsstrasse durch den Mundartbegriff doch noch so etwas wie heimatliche Würde zu verleihen? So quasi: Hier sieht es zwar nicht mehr so aus wie früher, aber mit einem alten Mundartbegriff weisen wir ein bisschen zurück in die Vergangenheit. Blöd nur, dass diese Begriffe oftmals nicht mehr als Mundartbegriff wahrgenommen geschweige denn verstanden werden, sondern ebenso fremd klingen wie dasjenige, das sie bezeichnen, fremd aussieht.

Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass in all diesen Fällen das Schwergewicht bei Männern liegt. Frauen haben hierzulande auf Strassenschildern ernüchternd wenig verloren.

Verbreitung der Strassennamen

Nach welchen Kriterien in Liechtenstein die über 1000 Strassennamen vergeben wurden und werden, ist kaum eruierbar. Manche Namen sind historisch gewachsen, da sie einerseits auf einen Flurnamen zurückgehen, auf etwas Herrschaftliches oder Rituelles verweisen oder aber das Offensichtliche bezeichnen. Eine Dorfstrasse z. B. führte in der Regel durchs Dorf, genauso wie eine Landstrasse einst das Land durchzog und Dörfer verband. Die Schaanerstrasse wiederum weist nicht darauf hin, dass sie in Schaan liegt, sondern dass sie nach Schaan führt. Gleiches gilt für Feldkircherstrasse, Bergstrasse, Schlossstrasse etc. Sehr häufig werden Strassennamen auch nach berühmten Persönlichkeiten benannt. In Liechtenstein ist dies vergleichsweise selten der Fall, da wir uns traditionell etwas schwertun mit dem Herausheben von Individuen. Ausser, es handelt sich um Heilige. Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass in all diesen Fällen das Schwergewicht bei Männern liegt. Frauen haben hierzulande auf Strassenschildern ernüchternd wenig verloren. In Liechtenstein gerade mal vier Mal: Fürstin Gina Weg, St. Annagasse, Goldene Boos Gasse, Paulahöttaweg. Interessant, dass dies «nur» Wege und Gassen sind, aber keine Strassen. Im Jahr 2019 wurde dies anlässlich des Frauenstreiktags für einen Tag geändert. Damals wurden die Männernamen für 24 Stunden durch die Namen bekannter Frauenpersönlichkeiten ersetzt.

Mundartnamen 2

Zurück zur Mundart. Wie schon erwähnt, wird vor allem bei der Benennung von neuen Strassen immer wieder auch auf Mundartbegriffe zurückgegriffen. Am häufigsten werden dabei alte Pflanzennamen verwendet wie Alberweg (Weisspappel), Elgagass (Lilie) – beide in Balzers –, Hegastrasse (allg. Sträucher) – Triesenberg –, Bagudaweg bzw. Badudaweg (Kälberkropf) – Vaduz und Schaan –, Kartennaweg (Schlüsselblume) – Vaduz –, Felba- bzw. Felbenweg (Silberweide) – Vaduz, Schaan und Mauren – und Widagass (Weide) – Gamprin und Eschen. Hin und wieder finden sich auch Tiernamen: Immagass (Biene) und Werleweg (Maulwurfsgrille) – beide Vaduz. Älteren Datums sind Strassennamen, die auf historische Einrichtungen zurückgehen wie die Dröschistrasse (Triesen) bzw. der Dröschiweg (Vaduz), die beide auf einen Ort verweisen, wo gedroschen wurde. Der Schliassaweg (Vaduz) verweist auf eine Schleuse. Ebenfalls historisch sind schliesslich alte Berufsbezeichnungen wie Finanzerweg (Zöllner) und Heraweg (Ortspfarrer) – beide Balzers –, und Heragass (Ortspfarrer) – Eschen.

Und wer sich für weitere eher kuriose Strassennamen wie Backofengasse, Dreiangel, Frauhofer, Im Fetzer, Im Loch, Im Malarsch, Himmelreichsteig, Morgagab, Orglamadweg oder Schinderböchel interessiert, dem sei die Lektüre des «Liechtensteiner Namenbuches» empfohlen. Viel Vergnügen!

Verwendete Literatur:

Jutz, Leo: Vorarlbergisches Wörterbuch mit Einschluss des Fürstentums Liechtenstein. Wien 1960 bis 1965.

Stricker, Hans: Liechtensteiner Namenbuch (6 Bde.). Schaan 1999.

Korrigenda:

In der letzten Ausgabe des 60PLUS hat sich im Mundart-Beitrag «Wingertarbeit im Jahresverlauf» ein grober Schnitzer eingestellt, auf den uns der aufmerksame Leser Michael Lenherr aus Triesen hinwies. Im Glossar zu den Mundart-Ausdrücken wurde die «Krätza» als «Scharreisen» bezeichnet. Das ist selbstverständlich falsch. Bei der «Krätza» handelt es sich, wie es Leo Jutz in seinem «Vorarlbergischen Wörterbuch» beschreibt, um einen «geflochtenen, hohen, oben gewöhnlich weiteren, an Riemen getragenen Rückenkorb zur Beförderung von Gras, Erde, Dünger usw.». Ob der Mundart-Autor beim Schreiben des Artikels zu viel Vaduzer «Kretzer» hatte?