von Gabi Eberle
Seit September 2022 leitet Heidi Gstöhl das Amt für Soziale Dienste (ASD) mit rund 45 Mitarbeitenden. Rück- und vorausblickend sieht sie unter anderem die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft als grosse gesellschaftspolitische Herausforderung. «Es gilt, gemeinsam Lösungsansätze für die Zukunft zu entwickeln und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.» Für die 55-jährige Eschnerin, zuvor während 25 Jahren in verschiedenen Funktionen im Sozial- und Gesellschaftsbereich in der Stadtverwaltung St. Gallen tätig, steht ein Zitat von Kurt Tucholsky als Ausdruck ihrer Überzeugung: «Wir sind stark, wenn wir zusammenhalten: die Starken und Schwachen, die Jungen und Alten.»
Ihre Erfahrungen, Erfolge, herausfordernden Momente, Frau Gstöhl, nach einem Jahr im Amt?
Heidi Gstöhl: Das Jahr ging unglaublich schnell vorbei. Der Einstieg im Amt wurde mir durch ein positiv gestimmtes Umfeld und engagierte Mitarbeitende sehr leicht gemacht. Bereits im ersten Monat war die Entlastung von einkommensschwachen Haushalten aufgrund des starken Anstiegs der Energiepreise ein grosses Thema. Lösungsvorschläge, verbunden mit pragmatischen Umsetzungsmöglichkeiten, waren gefragt – und das Energiekostenpauschale-Gesetz geboren! Die Umsetzung desselben stellte das Amt vor grosse Herausforderungen, die wir meines Erachtens toll gemeistert haben. Die grösste Herausforderung wird es wohl sein, der ständig steigenden Erwartungshaltung der Politik und der Bevölkerung gerecht zu werden, ohne dabei die dafür nötigen Ressourcen zu bekommen. Das Wohl der Mitarbeitenden darf nicht vergessen werden.
Das ASD deckt mittlerweile einen Löwenanteil des liechtensteinischen Sozialwesens ab, was der breiten Öffentlichkeit vermutlich so nicht bekannt ist . . .
Heidi Gstöhl: Neben der Beratung bei persönlichen und finanziellen Krisen zahlt der Soziale Dienst unter anderem die wirtschaftliche Sozialhilfe, die Krankenkassenprämienverbilligung und Mietbeiträge für Familien aus. Mit den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe, Kinder- und Jugendförderung sowie Kinder- und Jugendschutz ist der Kinder- und Jugenddienst zuständig für alle Belange von Kindern, Jugendlichen und Eltern. Der Psychiatrisch-Psychologische Dienst berät, behandelt und betreut Hilfsbedürftige mit psychischen Erkrankungen und/oder Suchtproblemen, vermittelt oder weist in therapeutische Einrichtungen zu oder hält Sprechstunden für Gefängnisinsassen ab. Zum Aufgabenbereich des Fachbereichs Chancengleichheit gehört die Förderung derselben in den Bereichen Migration/Integration, Gleichstellung von Frau und Mann, soziale Benachteiligung, Behinderung und sexuelle Orientierung. Die Abteilung Finanzen und Zentraler Dienst ist zuständig für Leistungsvereinbarungen, Budgetierungen und finanzielle Leistungen an die verschiedenen Einrichtungen in der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Sozialhilfe. Im Weiteren führt das Amt Präventionsprojekte im Suchtbereich durch, unterstützt soziale Projekte und informiert die Bevölkerung über soziale Themen.
Was ist Ihnen bei diesen vielfältigen Aufgaben besonders wichtig?
Heidi Gstöhl: Ganz klar der Mensch. Menschen, die Unterstützung und Hilfe brauchen oder sich nicht selbst wehren können. Das kann das Kleinkind sein, bei dem wir alles daransetzen müssen, dass es sich gesund entwickeln kann. Aber auch Menschen, die bald sterben und ihre letzten Tage in Würde verbringen wollen. Gut ins Leben starten und das Leben würdevoll beenden können, das liegt mir ganz besonders am Herzen und dazu möchte ich mit meiner Arbeit etwas beitragen. In diesen Lebensphasen gilt es, besonders hinzuschauen, sodass alle Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben. Im Amt sind mir der Zusammenhalt und die konstruktive Zusammenarbeit aller Mitarbeitenden wichtig. Es gilt dabei auch sicherzustellen, dass genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um den wachsenden Ansprüchen und vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden.
In welcher Form arbeiten Sie mit der Regierung zusammen?
Heidi Gstöhl: Das Amt für Soziale Dienste ist dem Ministerium für Gesellschaft und Kultur angegliedert. Ich habe regelmässige Sitzungen mit dem Gesellschaftsminister Manuel Frick. Dabei gilt es, sich in inhaltlichen Fragen auszutauschen und gemeinsame Haltungen zu entwickeln. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut.
Die Sozialhilfe hat als unterstes Netz der sozialen Sicherheit im letzten Jahrzehnt zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sind die Fallzahlen angestiegen?
Heidi Gstöhl: In der wirtschaftlichen Sozialhilfe sind die Fallzahlen nicht gestiegen, was erstaunlich ist. Was wir spüren, ist der deutliche Anstieg der Fallzahlen im Psychiatrisch-Psychologischen Dienst und im Kinder- und Jugenddienst. Immer mehr Erwachsene, aber auch Jugendliche und schon Kinder kommen an ihre Belastungsgrenzen. Dem unterstützend entgegenzuwirken, wird uns nicht nur als Amt, sondern auch als Gesellschaft fordern.
«Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Mitarbeitenden des ASD die Hilfesuchenden in persönlichen Belangen so lange begleiten, bis diese wieder selbstständig und eigenverantwortlich handeln können oder wo nötig, eine längerfristige Unterstützung installiert wird.»
Sozialhilfe ist mehr als materielle Existenzsicherung. Es geht auch darum, den Betroffenen die Teilhabe am Sozial- und Arbeitsleben zu ermöglichen, ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern. Welche Hilfestellungen gibt das Amt hier an die Hand?
Heidi Gstöhl: Die Mitarbeitenden in der Sozialhilfe sind gut vertraut und vernetzt mit den vielen Informations- und Beratungsstellen, die sich in Liechtenstein auf verschiedene Lebensthemen spezialisiert haben. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Mitarbeitenden des ASD die Hilfesuchenden in persönlichen Belangen so lange begleiten, bis diese wieder selbstständig und eigenverantwortlich handeln können oder wo nötig, eine längerfristige Unterstützung installiert wird.
Bei psychiatrischen oder psychologischen Problemstellungen oder wenn es darum geht, geeignete Wohnformen für eine längerfristige Betreuung zu suchen, unterstützen die Mitarbeitenden des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes sowohl direkt Betroffene als auch Angehörige.
Die ökonomische Entwicklung, die Dynamik des Arbeitsmarktes, gesellschaftliche Veränderungen führen zu sozialen Risiken wie Langzeitarbeitslosigkeit, nicht existenzsichernde Erwerbseinkommen oder ungenügende bzw. fehlende familiäre Beziehungsnetze.
Heidi Gstöhl: Die zunehmende Individualisierung ist mit Bestimmtheit eine grosse Herausforderung. Gemeinsam gilt es, Lösungsansätze für die Zukunft zu entwickeln.
Auch Medienberichten zufolge haben psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen eklatant zugenommen. Gefühlt jedes zweite Kind wird mit der Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) «gestempelt», erhält Medikamente. Die Freie Liste hat im Oktober moniert, das neue Psychiatriekonzept der Regierung gehe zu langsam vorwärts.
Heidi Gstöhl: Der Kinder- und Jugenddienst hatte nach der Coronapandemie die Wahrnehmung, dass es einen erhöhten Bedarf an Therapieplätzen gab. Es wurde eine zusätzliche OKP-Stelle für Kinder- und Jugendpsychotherapie geschaffen. Aktuell schätzt der Kinder- und Jugenddienst, dass sich die Situation entschärft hat und grundsätzlich ambulante Therapieplätze für Psychotherapie verfügbar sind, aber die Wartezeit und Auslastung bei den Therapeutinnen sehr unterschiedlich ist. Es sei angemerkt, dass insbesondere die Termine ausserhalb der Schulzeiten angefragt werden und es auch deshalb zu längeren Wartezeiten kommen kann. Im ambulanten psychiatrischen Bereich sind zwei niedergelassene Fachärzte für Psychiatrie für Kinder und Jugendliche tätig. Die Auslastung ist sehr unterschiedlich. Im akuten stationären Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es zu wenig Therapieplätze; der zusätzliche Bedarf ist seit Jahren ausgewiesen.
Zu den Senioren: Die Regierung hat am 13. Dezember 2022 beschlossen, den Eckwert der Mindestrente von CHF 1160.– auf CHF 1190.30 zu erhöhen. Gerade mal 30 Franken mehr. Nicht wenige SeniorInnen kommen an ihre finanziellen Grenzen.
Heidi Gstöhl: Im Sommer 2023 ist vom Amt für Statistik der Armutsbericht herausgegeben worden. Darin wird aufgezeigt, dass das Alter eine wichtige Rolle bei der Einkommensentwicklung spielt. Mit dem Übertritt ins Rentenalter fällt für den grössten Teil der Bevölkerung das Erwerbseinkommen weg, wird durch das Renteneinkommen aus der AHV in der Regel der beruflichen Vorsorge ersetzt. Diese Einkommen sind aber tiefer als die zuvor erzielten Erwerbseinkommen. Wenn zu diesem Zeitpunkt kein Rückgriff auf angespartes Vermögen möglich ist, so steigt das Risiko von Armutsgefährdung oder sogar Armut an.
Es braucht in Zukunft Lösungen, die diesem Umstand Rechnung tragen. Mit Bestimmtheit wird auch die Altersstrategie diese Thematik aufgreifen, sodass Massnahmen zielgerichtet angegangen werden können. Für die direkt betroffenen Menschen ist die Situation immer schwierig. Für sie gilt es, gemeinsam mit den Sozialwerken Lösungen zu finden.
«Wir alle sind Menschen mit unterschiedlichen Gesichtern und vielfältigen Geschichten. Ein ehrliches Interesse an diesen Geschichten, ein respektvoller Umgang mit den Mitmenschen und ein Handeln in Würde sind sehr wichtig.»
Welches werden die grössten Herausforderungen für Liechtenstein, Sie, das Amt in den kommenden Jahren sein?
Heidi Gstöhl: «Die Stärke einer Gesellschaft misst sich am Wohl der Schwächsten» – dieser Herausforderungen hat sich Liechtenstein, das Amt, aber auch jede einzelne Person in den nächsten Jahren zu stellen. Wir alle sind Menschen mit unterschiedlichen Gesichtern und vielfältigen Geschichten. Ein ehrliches Interesse an diesen Geschichten, ein respektvoller Umgang mit den Mitmenschen und ein Handeln in Würde sind sehr wichtig. Als Gesellschaft sind wir stark, wenn wir niemanden ausgrenzen und gemeinsam in die Zukunft gehen. Die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts sehe ich als eine grosse gesellschaftspolitische Herausforderung, der auch wir uns zu stellen haben. Daran müssen wir arbeiten.
Worauf freuen Sie sich im neuen Jahr?
Heidi Gstöhl: Wir leben in einem wunderbaren Land, haben sehr gute Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, um die sich stellenden Herausforderungen kreativ anzugehen. Ich freue mich darauf, zusammen mit vielen engagierten Menschen die Soziallandschaft weiterzuentwickeln. Wenn wir es geschickt anstellen und alle am selben Strick in die gleiche Richtung ziehen, können wir sehr viel bewegen. Hinzuschauen und Menschen die Hilfe zu geben, die sie brauchen, ist eine erfüllende Aufgabe, ganz nach dem Motto «Um in einer Gesellschaft zu leben, die du dir wünschst, musst du helfen sie aufzubauen“. Ich bin dankbar, dass ich die Gelegenheit habe, meinen Teil dazu beizutragen.
Vita Heidi Gstöhl
Heidi Gstöhl, geboren 1968 in Eschen, Primar- und Realschule in Eschen, Handelsakademie in Feldkirch, danach Studium der Staatwissenschaften an der Universität St. Gallen. Berufliche Tätigkeit: 25 Jahre in verschiedenen Funktionen im Sozial- und Gesellschaftsbereich in der Stadtverwaltung St. Gallen, zuletzt 10 Jahre als Leiterin des Amtes für Gesellschaftsfragen. Nach 33 Jahren mit Wohn- und Arbeitsort Stadt St. Gallen 2022 zurück nach Liechtenstein mit Wohnort Eschen und Arbeitsort Schaan.
Finanzielle Hilfen für Senioren beim ASD
Energiekostenpauschale:
Der einmalige Anspruch auf eine Energiekostenpauschale im Jahr 2023 besteht für alle Personen, die einen Stromlieferungsvertrag haben und der Erwerb aller im Haushalt lebenden Personen die Erwerbsgrenze von CHF 100 000 nicht überschreitet.
Frist für die Einreichung: 31. Dezember 2023.
Elektronisch: www.asd.llv.li oder Termin beim ASD:
Jennifer Schädler, Tel. 236 72 60
E-Mail: jennifer.schaedler@llv.li
Prämienverbilligung in der Krankenversicherung:
Erwerbsgrenze alleinstehende Person: CHF 65 000, Ehepaare CHF 77 000.
Die Frist endet jeweils Ende Oktober. Elektronisch: www.asd.llv.li oder mit Termin beim ASD:
Tel. 236 72 72, E-Mail praemienverbilligung@llv.li
Persönliche Beratung und wirtschaftliche Sozialhilfe:
Vereinbarung Termin Erstgespräch: Tel. 236 72 72,
E-Mail info.asd@llv.li
Kostenübernahme bei Aufenthalt in einem Hospiz im Ausland:
Die Kosten werden subsidiär zu anderen Leistungsträgern (z. B. Krankenkassen) vom ASD übernommen (Beantragung: spätestens bei Eintritt ins Hospiz).
Kontaktpersonen: Alexandra Lampert, Tel. 236 72 70,
E-Mail alexandra.lampert@llv.li
Bei Fragen und Anliegen jeglicher Art bzw. für eine Terminvereinbarung können die ASD-Mitarbeitenden jederzeit kontaktiert werden: Tel. 236 72 72, E-Mail info.asd@llv.li. Sehr gerne helfen wir weiter!