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60Plus | Fokus | Juni, 2024
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Burgen in Liechtenstein und ihre Geschichten

von Arthur Brunhart

Bei der Fahrt durch das Alpenrheintal erblickt man rechts und links des Rheins eine Burg nach der anderen. Sie stehen meist gut sichtbar und imposant auf felsigen Höhen. Sie sind Zeugen der Geschichte, die sich in diesen Burgen unmittelbar zeigt und erfahren lässt.

Im Raum zwischen der St. Luzisteig/Sargans und Oberriet/Sennwald finden sich an die 20 Burgen, darunter fünf auf Liechtensteiner Territorium, und eine Burg auf Balzner Gemeindegebiet in der Schweiz. Das sind die Burg Gutenberg, Schloss Vaduz, die Burg Schalun, die beiden Burgen Schellenberg sowie die Burg Grafenberg auf halber Höhe zur St. Luzisteig. Sie ist im Besitz der Gemeinde Balzers, liegt aber auf Schweizer Hoheitsgebiet. Über Bauherrschaft und Bewohner der Burg ist nichts bekannt. Wahrscheinlich hatte sie eine Wehrfunktion im Zusammenhang mit dem Passübergang St. Luzisteig. 2005 erfolgte eine bauliche Sicherung der Ruine.

Auch auf weiteren Plätzen Liechtensteins könnten Burgen bestanden haben, wie auf St. Mamerten in Triesen. Auf dem Areal wohnte im Hochmittelalter wohl ein Kleinadliger, möglicherweise ein Mitglied der im 13./14. Jahrhundert namhaften Familie von Trisun. Auch könnten terrassierte Gelände wie der Gopfaböchel in Mauren oder die Funde auf dem Gampriner Lotzagüetle, wo man die sagenhafte «Eschinerburg» vermutete, auf Burgen oder Befestigungen hinweisen.

Burg und Schloss

Der Begriff «Burg» umfasst alle möglichen Arten von Befestigung. Die «Adelsburg» diente als Wohnsitz, der Sicherung bot und gleichzeitig die Herrschaft repräsentierte. Adelsburgen, die bei der Wende vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit als Wohnsitze dienten und weitere Ausbauten erfuhren, bezeichnete man gelegentlich als «Schloss». Burgen waren in erster Linie mittelalterliche Wehrbauten mit Verteidigungs- und Schutzfunktion, neuzeitliche Schlösser dienten vor allem Wohn- und Repräsentationszwecken und hatten den Wehrcharakter mehr oder weniger verloren.

Die Namen der Burgen gehen auf unterschiedliche Quellen zurück, vor allem auf Flurnamen. Möglich ist auch ein Bezug zur Lage und Qualität der Burg, so Gutenberg, Freudenberg, Liechtenstein und so weiter. Die Burg Grafenberg trägt auch volkstümliche Namen wie «Mörderburg», «Alt-Schlössle» oder «s weld Schlössle». Die Bezeichnung «Wildschloss» für die Vaduzer Burg Schalun ist eine neuere Schöpfung. Schloss Vaduz trug im 18. Jahrhundert auch die Bezeichnung «Hohen-Liechtenstein». Das heutige Haus Gutenberg unterhalb der gleichnamigen Burg wurde lange als «Schloss» bezeichnet, weil es im 19. Jahrhundert konkrete Pläne für den Ausbau des repräsentativen Baus zu einer fürstlichen Residenz gegeben hatte. Immerhin war das mittlere Stockwerk als Absteige für den Fürsten eingerichtet.

Burgenbau

Die frühesten Adelsburgen (10./12. Jh.) hatten sich aus schlicht gehaltenen Herrenhöfen entwickelt. Während der unsicheren Zeiten der Staufer-Kaiser im 12./13. Jahrhundert setzte ein Burgenbauboom ein. Allein in Mitteleuropa entstanden damals weit über 10 000 Burgen.

Eine Burg bestand meist aus den gleichen, verschieden kombinierten Elementen: Turm, Ringmauer, Zwinger, Wohn- und Saalbau, Kapelle und Wirtschaftsbereich. Grösse und Umfang der Burg waren von den finanziellen Möglichkeiten und vom Rang des Bauherrn abhängig. Bedeutende Familien wie die Habsburger, Montforter oder Werdenberger besassen oft mehrere Burgen für die territoriale Sicherung. In solchen Burgen, wie z.B. auf Gutenberg, war in unruhigen Zeiten eine Garnison untergebracht.

Das Aufkommen der Feuerwaffen gegen Ende des Mittelalters führte oft zum Ausbau der Burgbefestigungen, gleichzeitig aber läutete das den Niedergang der Burgen ein. Die Schutzfunktion verlor ihre Bedeutung, die Mauern hielten den Kanonen nicht stand. An die Stelle der Burgen traten Festungen, die für den Kampf mit den neuen Waffen vorerst noch taugten.

Burg Gutenberg

Die wohl im 12. Jahrhundert gebaute Burg Gutenberg befindet sich auf einem Platz, auf dem sich schon in der Jungsteinzeit um 4500 v. Chr. Menschen aufgehalten hatten. Berühmt sind die Gutenberger Votivfiguren aus der jüngeren Eisenzeit (5.–1. Jahrhundert v.Chr.). Auch die Römer waren auf Gutenberg, wo sich vielleicht auch eine frühchristliche Kultstätte mit einem Baptisterium (Taufanlage) befand. Die 1780 abgebrochene Gutenberger Donatuskapelle ist vermutlich eine der beiden im Churrätischen Reichsgutsurbar (842/43) für Balzers genannten Kirchen. Noch vor dem Bau der Burg diente der Platz auf dem Hügel als Friedhof.

Nach dem Tod des Burgbesitzers und Minnesängers Heinrich von Frauenberg 1305 kam Gutenberg nach jahrelangem Streit um das Erbe 1314 an das Haus Habsburg und wurde Teil der «gefürsteten Grafschaft Tirol». Die Verwaltung auf Gutenberg war Burgvögten übertragen; von 1470 bis 1746 waren dies die Herren von Ramschwag. Als Grenzfestung zur Eidgenossenschaft geriet Gutenberg immer wieder in militärische Konflikte, so im Alten Zürichkrieg (1445), im Schwaben- oder Schweizerkrieg (1499), in den Bündner Wirren (1621/1622) und im Dreissigjährigen Krieg (1647). Damals hatte die Burg ihre militärische Bedeutung schon verloren, der Unterhalt wurde vernachlässigt. Nach 1748 war die Burg dem Zerfall überlassen, das Holz wurde verwertet und das Mauerwerk als Steinbruch genützt.

Der Vaduzer Architekt Egon Rheinberger baute Gutenberg zwischen 1905 und 1910 im Sinn der romantischen Mittelaltervorstellung wieder auf. Bis zu seinem Tod 1936 lebte und wirtete er im Sommer auf der Burg, die nach Pächter- und Besitzerwechseln 1979 an das Land Liechtenstein überging. Seit 2024 betreut ein Trägerverein dieses ob ihrer malerischen Lage und ihrer Atmosphäre oft als schönste Burg Liechtensteins bezeichnete Juwel.

Schloss Vaduz

Die mächtigste Burg Liechtensteins ist das 1322 erstmals erwähnte Schloss Vaduz. Seit Mitte des 14. Jahrhunderts war es Sitz des Landesherrn. Die bauliche Entwicklung von der mittelalterlichen Burg bis zum wieder aufgebauten Schloss Vaduz lässt sich gut nachvollziehen. Bergfried, Palas und Ringmauer stammen vermutlich aus dem 13. Jahrhundert, später folgten ein repräsentativer Saalbau, ein weiterer Wohnturm sowie Wirtschafts- und Wohngebäude im 14. und 15. Jahrhundert.

1504 konnte der Altar einer neuen Kapelle eingeweiht werden, zwischen 1505 und 1524/25 wurden Wohnräume ausgebaut, 1523–29 entstanden zwei wehrhafte Rondelle, das Burgtor wurde an die Südwestecke verlegt.

Die Zerstörung der Burg im Schwabenkrieg (1499) zog Wiederherstellungsarbeiten nach sich. 1504 konnte der Altar einer neuen Kapelle eingeweiht werden, zwischen 1505 und 1524/25 wurden Wohnräume ausgebaut, 1523–29 entstanden zwei wehrhafte Rondelle, das Burgtor wurde an die Südwestecke verlegt. Im 17. Jahrhundert folgte die Anlage eines barocken Gartens ausserhalb der Burgmauern. Die Wehrburg war zum Schloss geworden.

Im 18./19. Jahrhundert diente die bald ruinös gewordene Anlage als Sitz des Landvogts und des Oberamtes, als Gefängnis, als Garnison des liechtensteinischen Militärs und bis 1896 als «Schlosswirtschaft». Um 1890 durchgeführte Unterhaltsarbeiten wirkten gegen den weiteren Verfall, von 1904–1914 kam es unter Fürst Johann II. zur Wiederherstellung des Schlosses. Franz Josef II. baute es wohnlich aus und nahm 1938 dort ständigen Wohnsitz.

Die Burg Schalun

Die Ruine Schalun nordöstlich oberhalb Vaduz wird erst 1616 erwähnt. Eine Ritterfamilie von Schalun ist dagegen schon im 13. Jahrhundert namhaft. Wer die in ihren Ausmassen erstaunliche, auf drei getrennten Niveaus gebaute Burg errichtet hat und wann und warum sie aufgegeben worden ist, weiss man nicht. Die Reste der schon gegen Ende des 14. Jahrhunderts geräumten Burg wurden 1990–1993 konserviert. Seit 1933 gehört die Ruine der Gemeinde Vaduz.

Die Burgen Schellenberg

Auf dem Eschnerberg liegen die Obere und die Untere Burg Schellenberg. Eine gleichnamige Familie Schellenberg war schon vor dem Burgenbau in der Gegend und seit 1200 urkundlich erwähnt. Die Familie taucht so plötzlich auf wie sie im 14. Jahrhundert wieder verschwand. Ob die Burgnamen Bezug auf die Familie nehmen, ist fraglich. Es ist auch nicht klar, welche Burg als erste gebaut worden ist. Funde in der Oberen Burg reichen ins 12. Jahrhundert zurück. Ein Grossteil der Keramikfunde auf beiden Burgen stammt aus dem 13./14. Jahrhundert. Urkundliche Erwähnungen sind erst ab 1348 (Obere Burg) und 1364 (Untere Burg) zu verzeichnen.

Sie wurde wohl wieder in Stand gesetzt, wenig später aber aufgegeben. Die gegen das Rheintal hin ausgerichtete Untere Burg Schellenberg wurde vermutlich im 13. Jahrhundert errichtet und später baulich verändert.

Die Obere Burg Schellenberg war immer wieder baulichen Veränderungen unterworfen und stellte sich mit Zwinger, Schildmauer, Zisterne, Bergfried, Palas und weiteren Gebäuden und einem Wirtschaftshof stattlich dar. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts erlitt die Burg vermutlich in den Appenzellerkriegen (1405) Schäden. Sie wurde wohl wieder in Stand gesetzt, wenig später aber aufgegeben. Die gegen das Rheintal hin ausgerichtete Untere Burg Schellenberg wurde vermutlich im 13. Jahrhundert errichtet und später baulich verändert. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts werden beide Burgen in der Emser Chronik als «zerbrochen» bezeichnet. 1956 schenkte Fürst Franz Josef II. die Burgen, die sich im Besitz des jeweiligen Landesherrn befunden hatten, aus Anlass der Feier «150 Jahre Souveränität Liechtensteins» dem Historischen Verein.

Mythos Burg

Burgen werden als das «architektonische Erfolgsmodell des Mittelalters» bezeichnet. Sie waren Statussymbol, Wirtschaftszentrum und (meist kalte, zugige und rauchige) Wohnstätte. Die Mittelalter- und Burgenbegeisterung vor allem des 19. Jahrhunderts romantisierte und monumentalisierte die Burgen, reduzierte sie teilweise aber auch zu einer Kulisse. Burgen regen die Fantasie der Menschen an. «Mittelalterfeste» – auch auf Gutenberg oder in der Ruine Obere Burg Schellenberg – sind gut besucht. Burgen sind Thema zahlreicher Dokumentationen und Studien, und beliebt als Motiv für Literatur, Kunst, Kunsthandwerk und anderes mehr.

PostMuseum Liechtenstein: Ausstellung «Mächtige Mauern und Minnesang» auf Liechtensteiner Briefmarken. Zu sehen bis August 2024.

Literaturhinweise:

Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein. 2. Bde., Vaduz/Zürich 2013 (online: www.historisches-lexikon.li).

Werdenberger Jahrbuch 7, Buchs 1993 (Rahmenthema Burgen, Ritter, Mittealter).

Baeriswyl, Armand; Niederhäuser, Peter (Hg.): Zeugen vergangener Macht und Herrschaft: Schweizer Burgen und Schlösser vom Mittelalter bis heute, Heidelberg 2021.

Boxler Heinrich; Frommelt Hansjörg: Burgen im Fürstentum Liechtenstein. Denkmalpflege und Archäologie in Liechtenstein. Fund- und Forschungsberichte 2011, Vaduz 2012, S. 92–135.

Brunhart Arthur (Hg.): Herrschaft und Repräsentation. Dynastien, Prestige und Macht in Liechtenstein, 1400-1900. Zürich 2021.

Crettaz-Stürzel Elisabeth: Ein «kleines Bergschloss» für den Regierenden Fürsten von Liechtenstein Johann II. – Das Balzner Residenzprojekt von August Essenwein anno 1862. In: Balzner Neujahrsblätter, 2024, S.12–29.

Frey Stefan: Von der Grafschaft Rätien zu den Herrschaften Vaduz und Schellenberg. In: Jahrbuch Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 119, Vaduz 2020, S. 9–86.

Herrmann, Cornelia: Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechtenstein. 2 Bde. Bern 2007-2013.