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60Plus | Mundart | Juni, 2024
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Mundart rockt, hoi!

Der Sieg von Nemo am diesjährigen ESC (Iurowischn Song Kontäscht) hat in Liechtenstein Begehrlichkeiten geweckt: Ja, wir wollen in Zukunft ebenfalls an diesem internationalen Schlag(er)-Abtausch teilnehmen und diesen selbstverständlich gewinnen! In diesem Beitrag geht es nun weniger um eine Einschätzung der Möglichkeiten und Risiken eines solchen Unterfangens, sondern darum, wer überhaupt sinnvollerweise als TeilnehmerIn infrage kommen könnte.

Es ist klar: Sollte Liechtenstein tatsächlich einmal einen Kandidaten oder eine Kandidatin (oder beides) an den ESC entsenden, so müsste diese Person nicht nur stimmgewaltig sein (gefühlvolles Singen spielt ja keine grosse Rolle mehr), eine grandiose Show bieten (Motto: Feuerwerk am Staatsfeiertag) und – wenn überhaupt – ein extravagantes Kostüm tragen, sondern sie müsste zwingend inhaltlich ein sogenanntes Alleinstellungsmerkmal bieten. Und damit ist für einmal nicht wie in der Imagewerbung üblich das «Schloss Vadoz» und «Wir sind die Besten!» gemeint, sondern viel eher ein augenzwinkerndes selbstironisches «Miar sin dia Klinnschta – und etz?». Und wo findet man ein solches ESC-USP? Natürlich in der Mundartecke der hiesigen Musikszene! Erstens tönt der Dialekt exotisch und selbstbewusst und zweitens bietet der Dialekt Möglichkeiten des Ausdrucks, die sonst kein resteuropäischer Mensch zu denken wagen würde.

Bestandsaufnahme

Und damit kommen wir zur zweiten Frage: Gibt es überhaupt eine Mundartpop/-rock-Szene im Land? Oh ja. Die gibt es. Und diese ist sogar musikalisch virtuos und mit grossartigen Texten unterwegs. Schade nur, dass dies auf dem Landessender kaum zu hören ist. Stefan Frommelt, dem Musiker und Aktivisten, wenn es um die Verbreitung Liechtensteiner Musik geht, bekam vor ein paar Jahren auf die Anfrage, ob nicht auch Liechtensteiner Songs auf Radio L gespielt werden könnten, zu hören, dass dann «viele Hausfrauen und Sekretärinnen am Arbeitsplatz den Sender wechseln würden». Glückliche Geschäftsleitung, wenn dies ihr einziges Problem ist!

Hier einmal – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ein kleiner Überblick, was unsere Mundart-Musikszene zu bieten hat und wen man demzufolge an ein ESC-Finale schicken könnte. Selbst wenn es nie dazu kommt.

Anfänge

Die ersten Liechtensteiner Rockbands, die sich ab den späten 1950er-Jahren bemerkbar machten, waren zu Beginn reine Cover-Bands. Gegen Ende der 1960er-Jahre fing man an, eigene Songs zu komponieren und eigene Texte dazu zu verfassen. Lange Zeit allerdings nur auf Englisch, da Englisch, ganz egal, was Peterchen Kraus oder Johnny Hallyday sangen, die Sprache des Rock‘n‘Roll war. Für Liechtenstein brauchte es erst die Erfolge von Schweizer Bands wie den «Minstrels» («Grüezi wohl, Frau Stirnimaa!») und vor allem «Rumpelstilz» (Teddy Bär, Kiosk etc.), damit man sich auch hierzulande an fetzige Dialekttexte wagte. Den Anfang nahm dabei eine infernale Musikkassette, die im Mostnebel des Triesner «Adlers» entstand, und für die heutzutage auf eBay vermutlich 1000 Bitcoins geboten werden.

Und etz?

Die ersten Bands, die sich in Liechtenstein zur Mundart bekannten und diese ins Mikrofon grölten, waren ab Mitte der 1980er-Jahre die «Fine Young Gäässler Guga», die Balznerisch erklangen, und «Philomena», die auf Eschnerisch sangen. Beiden war gemein, dass sie ihre Heimat in ihren Texten respektlos witzig betrachteten. Dies ist generell ein Merkmal, das die hiesige Mundartsong-Szene mehrheitlich auszeichnet: der Humor. Von «Philomena» (1) stammt einer der bekanntesten Liechtensteiner Mundartsongs überhaupt: «I luag Fernseh»:

(1) S’isch Fritig Obed, d’Wocha umme
Jetz zwo Täg, hät nemert meh ah dumme
Gang i d‘Stoba, leg mi her
a Fläscha Biar hani oh schoo usm Kehr
I to d’Schuah ab, to d’Söck ab,
to d’Hosa ab und leg dr Trainer ah
Jetz fangt s‘Leba ah, i schalt dr Fernseh ah
Ref.: I luag Fernseh, mir ton scho d’Oga weh
I luag Fernseh, bis zum Bildschirm-Schnee
und Stereo, Video, Color TV
nei, i bruch ko Frau […]

Mitte der 1990er-Jahre kamen Mundartsongs aus einer unerwarteten Ecke: dem Kabarett. Die Songs des Liechtensteiner Gabaretts «Das LiGa» (2) wurden aber erst einem breiteren Publikum bekannt, als die Frühwerke gemeinsam mit einer Studioband eingespielt wurden:

(2) […] Jo und mier?
Wer sin denn mier?
Mier sin …
… vilecht ned grad dia Fiinschta,
vilecht sogär dia Klinnschta,
uf jeda Fall dia Beschta
vom Reschta vom Weschta!
Liachtaschtaaner simmer!
Liachtaschtaa för immer!
Liachtaschtaaner samma!
Vo Namma und Schtamma! […]

Danach ging es Schlag auf Schlag. «Zot Off» kamen mit frischen Texten und neuen Klängen, das «Goschger Sennapoppa Duo» (GSP2) (3) löste sich aus dem Schatten von «Dr. Schlager und die Kuschelbären»:

(3) Komm säg miar wenn säg mr denn wenn du gosch säg i jo
Drum wenn i komm frog i dumm was du tuasch tuasch du do
Los mi i ruah los mr zua zua i ruah, mini ruah, ruah isch schö
I hör dini tör was i hör was mi stört es sin töö
Ref.: I denk no a di und bi diar well i sie woni bi woni stand vor der wand med mim läba i der hand wenn i tanz wenn i denk wenn i spring wenn i sing vo diar… […],

Stefan Frommelt vertonte mit seinem «Jazzzirkus» (4) Mundartgedichte von Stefan Sprenger und Mathias Ospelt

(4) dora bom tiri bom bom garta
dora bom giri bongert uus
hani him hani hem hani huuba
ooni hemp ooni kemp ooni huus
ooni ti tirili ooni laara
ooni ti torali tora luus
ooni zwi zwirili mos i faara
ooni zwi ooni zwo ooni pfuus
hei! […]

und «Rääs» (5) setzten zu ihrem Höhenflug an:

(5) I hock im Bus näbm Theo do lot er an lauf,
Doch er isch an flotta Tüp das nümme doch in kauf
Blähega sin mänschleg ma ka doch nüt drför,
Schwätza kamma viel doch do findens be miar ka Ghör
Ref.: I säg
An Forz oder an Görps, si stinken bede gliich,
I ka nüüt dra ändera,
sos wäre scho lang riich […]

Und dazwischen wuselten Humoristen wie «Dia tota Blätter» (Mo Schädler) und «Lucy‘s Fair» (6):

(6) […] I ha di gärn. Min Schatz.
So tönt Romantik i der Sproch vo üsrem Land.
Und ma macht‘s schlimmer, med jedem Satz,
ko Wunder bringt do nemerd ebis z‘Stand.
S‘git so viel Saha i üsna Köpf,
wo sich ned formuliara lon.
Drum ischs a Wunder,dass hi und do
sich gwösse Dama trotzdem öberschnorra lon. […]

War die Sparte der Mundartsongs in der Vergangenheit praktisch eine reine Männerdomäne, so kamen in den letzten Jahren auch weibliche Stimmen hinzu: Judith Biedermann, Vanessa Amann und die Frau hinter dem Jubiläumssong zu «300 Jahre Liechtenstein», Rahel Oehri-Malin. Ergänzend erwähnt werden muss auch noch die neue Band von Stefan Frommelt: «The Peps». Liechtenstein hätte also eine geballte Ladung Mundart, um sich musikalisch der Welt zu präsentieren. Schliesslich ist nicht alles Englisch, was glänzt! Die musikalische Virtuosität, die Experimentierfreudigkeit, der Humor, das Augenzwinkern, die gesanglichen Qualitäten und die Bühnenpräsenz allein schon all der hier erwähnten Bands, Sängerinnen und Sänger zusammengefasst, würden für eine tolle Kiste sorgen! Aber eben: Was soll‘s, wenn man dies nicht einmal den eigenen Hörerinnen und Hörern zutraut …?

Die Dialekt-Schreibweise wurde so übernommen, wie sie in den Originaltexten verwendet wird.

Quellen:

Die zitierten Textauszüge entstammen Songs der folgenden CDs:

«Das LiGa»: Das LiGa (1999)
«Manege frei»: Jazzzirkus (2003)
«[… saha git‘s?!]»: GSP2 & Band (2006)
«Wohre Gschechta»: Rääs (2007)
«Grande Nation»: Lucy‘s Fair (2015)
«I luag Fernseh» von Philomena erschien 1984 als Single.