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60Plus | Porträt | Oktober, 2018
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Ernst Geissmann, Eschen

Multitalent in Beruf, Sport und Kunst

Vor einiger Zeit gab ihm ein Arzt noch ein halbes Jahr zum Leben. Dies sollte sich glücklicherweise nicht bewahrheiten. Heute peilt Ernst Geissmann mit seinen 96 Jahren ein neues Ziel an: Er hat begonnen, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Das Leben von Ernst Geissmann ist so vielseitig und interessant, dass es ein ganzes Buch füllen würde. Sein Wirken als Handwerker, als Konstrukteur, als Tüftler, Planer, Organisator, Lehrmeister, Bergsteiger und Bergretter, als Sportler überhaupt, schliesslich als Eisenplastiker und Künstler umfasst ein sehr breites Spektrum. Es ist fast unglaublich, was der Mann alles gemacht hat. Ernst Geissmann hat seine Talente und Leistungen noch nie an die grosse Glocke gehängt; er ist bescheiden, er tut und macht bis heute das, was er für richtig hält. 60PLUS möchte den Leserinnen und Lesern in Wort und Bild einen kleinen Einblick in das berufliche, sportliche und künstlerische Wirken von Ernst Geissmann geben.

60PLUS hat bereits in der Ausgabe Nr.2 im Juli 2018 einen kurzen Einblick in das Wirken von Ernst Geissmann, vor allem in sein künstlerisches Schaffen, gegeben. Sein Vater Edmund Geissmann stammte aus dem Freiamt im Kanton Aargau. Von seiner Mutter Frieda, einer geborenen Nabulon von Urnäsch im Kanton Appenzell Ausserrhoden, hat Ernst Geissman, wie er selber sagt, viele Gene mitbekommen. Ernst ist in Urnäsch zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Karl aufgewachsen und zur Schule gegangen. Vater Edmund war Schlosser und stellte Veloanhänger für die Bauern her, die damit die Milch in den «Milchtasen» zur Sennerei transportierten. Später betrieben sie dann nur noch Velohandel. Urnäsch war damals in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts, als Ernst aufwuchs, ein Bauerndorf.

Vater Edmund war Schlosser und stellte Veloanhänger für die Bauern her, die damit die Milch in den «Milchtasen» zur Sennerei transportierten. Später betrieben sie dann nur noch Velohandel. Urnäsch war damals in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts, als Ernst aufwuchs, ein Bauerndorf.

Ernst Geissmann: «Der Grossvater Konrad Nabulon war Grossbauer. Seine fünf Söhne hatten jedoch keine Nachkommen und so wurde der Betrieb später verkauft. Mein Bruder und ich lernten ein Handwerk, Karl machte die Schlosserlehre und ich lernte Maschinenschlosser.»

Ernst und Alice Geissmann-Schoop

Ernst Geissmann war mit Alice Schoop aus Urnäsch verheiratet. Seine Frau ist aber bereits 1991 gestorben. Sie haben zwei Söhne, Erich (geb. 1951) und Rainer (geb. 1954), sowie die Tochter Christa (geb. 1957). Sohn Rolf ist bereits kurz nach der Geburt (1952) gestorben. Ernst Geissmann ist durch die Geburt der Urenkelin Eileen vor kurzem Urehni geworden!

Von Uzwil ins Wallis und dann zur Presta nach Eschen

Ernst Geissmann schloss die Lehre bei den Gebrüdern Bühler in Uzwil mit der Bestnote Eins ab. In jener Zeit tobte der Zweite Weltkrieg und Ernst musste gleich nach der Lehre in den Militärdienst. Ernst Geissmann hätte bei der Firma Gebrüder Bühler Karriere machen können, aber es zog ihn ins Wallis zum Aluminiumwerk in Chippis, wo die Vorgesetzten schon bald auf seine fachlichen Qualitäten aufmerksam wurden. Ernst Geissmann übernahm bereits mit 22 Jahren Führungsaufgaben. Sein Vorgesetzter Ingenieur Walter Schlatter ging dann zur Presta nach Eschen. Walter Schlatter war auch der Grund, warum Ernst Geissmann 1946 vom Wallis nach Eschen in Liechtenstein zur Presta wechselte.

Von 1946 bis 1969: Ernst Geissmann und die Presta

Als Ernst Geissmann 1946 zur Presta stiess, gehörte das Unternehmen zum Imperium von Bührle (Firma Oerlikon-Bührle). Die Firma produzierte während des Zweiten Weltkrieges u.a. für die deutsche Wehrmacht Geschosshülsen. Nach dem Ende des Krieges begann die Presta neue Produkte zu entwickeln und herzustellen.

Ernst Geissmann schildert seine Einreise im November 1946 nach Liechtenstein folgendermassen: «Ich bin mit dem Zug bis Haag gefahren und habe den Rhein zu Fuss über die Holzbrücke nach Bendern überquert. Die Grenze zu Liechtenstein wurde damals nach dem Krieg von der Schweizer Heerespolizei bewacht und kontrolliert. Dann bin ich weiter zu Fuss nach Eschen zum Gasthaus Eschnerberg und habe dort ein Zimmer bezogen. Es gab damals noch kein fliessend Wasser im Zimmer.»

Ernst Geissmann: Anstellung «Für besondere Aufgaben»

Die Anstellung von Ernst Geissmann bei der Presta lautete «für besondere Aufgaben». Ich habe ihn gefragt, was das konkret heissen solle. Da sagte er mir: «Wenn ich auf die Jahre bei der Presta zurückblicke, da kommen mir so viele Sachen in den Sinn. Ich habe sehr viel gemacht und erlebt. Es war eine Zeit der Neuorientierung. Nach dem Krieg haben wir die Produktion nach und nach umgestellt und mit der Herstellung von Qualitätsschrauben begonnen. Einmal bin ich mit Ingenieur Walter Schlatter 14 Tage nach England zur Besichtigung einer Fabrik, um zu schauen, wie diese Schrauben produzieren. Er wollte, dass ich mitkomme, hatte aber kein Budget, um die Kosten für mich zu übernehmen. Weil mich das stark interessierte, habe ich Ferien bezogen und die Reise selbst bezahlt. Von der grössten Schraubenfabrik in Deutschland, der Firma Bauer & Schaurte in Neuss, haben wir aus den zerbombten Hallen Maschinen gekauft und revidieren lassen, um Schrauben herzustellen. Ich habe die revidierten Maschinen in Neuss selber abgenommen. Ich habe für unsere Auftritte an der Mustermesse Basel Ausstellungsstände konstruiert. Das sind nur einige Beispiele.»

Im Laufe der Zeit wurden Ernst Geissmann immer mehr Führungsaufgaben übertragen. Aus den Unterlagen ist ersichtlich, dass sein Aufgabengebiet sehr umfangreich war, angefangen von der Produktionsleitung. Und er war zuständig für die Maschinenbeschaffung, das Personal- und Lehrlingswesen, die Feuerwehr, die Sanität, die Sicherheit etc. Ernst Geissmann hat die ersten Firmenskirennen im Lande von der Presta aus organisiert. Es gab häufig Wechsel in der Direktion. Sie kamen alle 14 Tage von Oerlikon nach Eschen, um nach dem Rechten zu sehen. Einmal hat ein Direktor zu Ernst Geissmann gesagt: «Du kannst kommen und gehen, wann Du willst, nur der Betrieb muss funktionieren!»

Im Laufe der Zeit wurden Ernst Geissmann immer mehr Führungsaufgaben übertragen. Aus den Unterlagen ist ersichtlich, dass sein Aufgabengebiet sehr umfangreich war, angefangen von der Produktionsleitung.

In der Zeit als Ernst Geissmann bei der Presta war, wurde immer wieder versucht, neue Produkte auf den Markt zu bringen. So unter anderem mit der Herstellung von Nähmaschinennadeln, Handstrickapparaten, Gasturbinen oder mit Zellenbau für Raketen, um nur einige Produkte zu nennen. Dann hat man angefangen, Sinter herzustellen. Dies eröffnete neue Möglichkeiten und führte zur Zusammenarbeit mit der Autoindustrie, für die die Presta bis heute wichtige Komponenten produziert.

Im Jahr 1969, mit 47 Jahren, hörte Ernst Geissmann bei der Presta auf, suchte eine neue Herausforderung und machte sich selbstständig. Ernst Geissmann hatte in den 23 Jahren bei der Presta einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Entwicklung des Unternehmens geleistet.

Gemar und Sportservice AG

Ernst Geissmann hat dann im Industriegebiet von Eschen einen Ingenieur-Betrieb aufgebaut und seine innovativen Fähigkeiten und seine Kreativität vor allem auf die Neuentwicklung von Produkten konzentriert, die er im Auftrag von Kunden übernahm. So entwickelte er Prototypen: u.a. ein Raupenfahrzeug, Prüfsortiergeräte, Maschinen zur Herstellung von Skis, Siebdruckmaschinen, Doppel-Schleifmaschinen für Skis etc. Ernst Geissmann: «Bei diesen Projekten war es vielfach so, dass für eine erfolgreiche Markteinführung kein Geld vorhanden war und das Projekt dann nicht mehr weiter verfolgt werden konnte.»

«Bei diesen Projekten war es vielfach so, dass für eine erfolgreiche Markteinführung kein Geld vorhanden war und das Projekt dann nicht mehr weiter verfolgt werden konnte.»

Ernst Geissmann hat in dieser Zeit auch mit Fritz Kaiser zusammen Pläne für eine Luftseilbahn von Schaanwald auf die Drei Schwestern entwickelt. Diese Seilbahn, die damals grosse Schlagzeilen machte, wurde dann ja bekanntermassen nicht realisiert. Ernst Geissmann projektierte auch Skilifte.

Gegen Ende der siebziger Jahre hat Ernst Geissmann die Firma Gemar und Sportservice seinen beiden Söhnen Erich und Rainer übergeben. Er stellte sich einer neuen Herausforderung.

Gefragter Schadenexperte für Versicherungen

Ernst Geissmann war in den letzten 20 Jahren seines Berufslebens bis zu seinem 75. Altersjahr ein gefragter Schadenexperte für die grossen Schweizer Versicherungen. Er stellte seine Expertise bei grossen Schadenfällen und Inventarbewertungen für Banken zur Verfügung. In dieser Zeit legte er pro Jahr 70 bis 80 Tausend Kilometer mit dem Auto zurück und bewertete bis zu 200 Schäden pro Jahr.

Seine Welt sind die Berge: Bergsteigen und Ski fahren

Der Sport spielte schon immer eine grosse Rolle im Leben von Ernst Geissmann. Das Bergsteigen liegt ihm im Blut. Bereits in seinen Walliserjahren war er in den Bergen zu Hause. Seine Lieblingsberge und Routen waren das Matterhorn, der Dom und der Biancograt in der Schweiz, der Garsellikopf und die Plankner Türme in Liechtenstein. Dort oben steht das eiserne Gipfelkreuz, das Ernst Geissmann geschaffen und mit seinen Söhnen hinauftransportiert und einbetoniert hat. Zu seinem 80. Geburtstag 2002 machten ihm seine zwei Söhne und die Tochter ein besonderes Geschenk: Eine gemeinsame Bergtour auf seinen Hausberg, die Plankner Türme. Am Samstag, 21. August 2002, wurde das Geschenk eingelöst und es war für Ernst Geissmann ein besonderes Erlebnis. Ernst Geissmann war nicht nur ein sehr guter Bergsteiger, sondern auch ein ausgezeichneter Skifahrer mit Skilehrer-Patent.

Ernst Geissmann gehörte zu den mutigen Liechtensteiner Ersthelfern bei der verheerenden Lawinenkatastrophe 1954 in Blons/Vorarlberg. Am 12. Januar 1954 war eine 15-köpfige Gruppe von Mitgliedern des Unterländer Wintersport Vereins (UWV) unter Leitung von Ernst Geissmann im Einsatz. Es war ein gefährlicher Einsatz, der dazu führte, dass in der Folge die Liechtensteiner Bergrettung gegründet wurde. Ernst Geissmann ist Gründungsmitglied der Liechtensteiner Bergrettung. Er hat in sportlicher Hinsicht in Liechtenstein viele Impulse gegeben, so unter anderem mit der Gründung des Unterländer Wintersport Vereins. Er initiierte die Firmenskirennen, die Josefi-Stafette und war viele Jahre Mitorganisator des Frühlingsskirennens in Malbun.

Die Eisenplastiken von Ernst Geissmann sind einzigartig

Das Metall Eisen hat es ihm angetan. Als Maschinenschlosser hatte er schon in jungen Jahren einen engen Bezug zu Metall und Eisen. In den Kunstwerken zeigt Ernst Geissmann seine Welt. Er bringt darin seine Kreativität, seine Ausdruckskraft, die Lebensfreude und die Verbundenheit  zur Natur zum Glänzen und Strahlen. Ausserdem gestaltet er Eisen kombiniert mit dem Naturstoff Holz. Ernst Geissmann ist auch ein ausgezeichneter Zeichner und hat eine Schrift, die man nur bewundern kann. Es ist eigentlich schade, dass seine Kunstwerke fast versteckt in seinem Garten und in seinem Haus ihr Dasein fristen. Nur wer der Fluxstrasse 70 einen Besuch abstattet oder ins Fago geht, kann einige seiner Kunstwerke betrachten und geniessen.

Ich habe Ernst Geissmann gefragt, wie er es mit dem Altwerden halte?

Er überlegt und sagt dann: «Nein, ich habe kein Problem damit, aber anscheinend andere. Vor ein paar Wochen war ich im Spital und da haben sie mich gefragt, ob sie einen Pfarrer schicken sollen. Da habe ich gesagt, nein, ich brauche keinen Pfarrer, ich habe ein anderes Problem!»

Auf die Frage, was tust Du am liebsten, sagt Ernst Geissmann: «Schlimm ist es, wenn ich nichts zu tun habe, aber das kommt selten vor. Im letzten Jahr war ich noch auf Gafadura und beim Ski fahren in Malbun. In diesem Jahr bin ich mit den Stöcken unterwegs. Bis vor einigen Jahren stieg ich am Abend noch schnell auf meinen Hausberg, den Garsellikopf. Der Garten beschäftigt mich. Ich schneide den Rasen mit dem Trimmer und etwas vom Liebsten was ich tue, das ist essen (Ernst Geissmann lacht)!»

Heimat, Eschen, die Berge und die Schweiz

Beim Thema Heimat überlegt Ernst Geissmann lange und sagt dann: «Im Wallis hat es mir gut gefallen, da hatte ich die Berge in der Nähe, fast vor Augen, das Matterhorn und den Dom. Das ist für mich irgendwie Heimat. Hier habe ich die Plankner Türme. Und wenn ich von meinem Haus nach Westen schaue, sehe ich die Schweizer Berge.

Ich bin jetzt 72 Jahre in Eschen zu Hause. Ich hätte mich schon lange einbürgern lassen können. Aber ich wollte nicht, dass man über mich abstimmt. Ich fühle mich wohl hier und so soll es auch noch lange bleiben.»

Ernst Geissmann hat nach dem Zweiten Weltkrieg als «Gastarbeiter» am wirtschaftlichen Aufbau unseres Landes mit grossem Einsatz mitgewirkt. Er hat sich in der Gemeinde Eschen und in unserem Land im sportlichen und kulturellen Bereich stark engagiert. Er ist einer der Gründer der Liechtensteiner Bergrettung und verdient für seine vielseitigen Initiativen und sein künstlerisches Schaffen  Dank und Anerkennung. Wir wünschen Ernst Geissmann alles Gute und weiteres frohes Schaffen beim Schreiben seiner Lebensgeschichte!