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60Plus | Mundart | November, 2024
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Wibera, wäbera, Saulocha

von Mathias Ospelt

Der homo ludens, der spielende Mensch, der gemäss dem niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga (1872-1945) über das Spiel seine Persönlichkeit entwickelt, ist auch in Liechtenstein weit verbreitet. Und damit sind nicht die Casino-Gänger gemeint. Im ersten Teil einer kleinen Beitragserie geht es um Spiele, die vor langer Zeit in Gemeinschaft gespielt wurden und zum Teil nach wie vor gespielt werden.

Die frühsten Spiele drehen sich oftmals um Abzählreime und ähnliche Sprüche.

Spielen wird zuallererst mit Kindern in Zusammenhang gebracht. Endlos scheint Geduld und Energie, die die Kleinsten aufbringen, um ihre Tage so zu gestalten, dass sie abends erschöpft einschlafen. Die frühsten Spiele drehen sich oftmals um Abzählreime und ähnliche Sprüche. Liechtensteins allererster Regierungschef (1921–1922), der Heimatkundler Joseph Ospelt (1881–19962), stellte in seinem 1917 erschienenen Beitrag «Vaduzer Sprüche», der im 17. Band des Jahrbuchs des Historischen Vereins erschien, solche Kinderverse zusammen. So zum Beispiel bei diesem Spiel, bei dem die Kinder an ihren Fingern abzählend sagen:

beim Daumen: Där ischt is Wasser kfalla
beim Zeigefinger: Där hät an ussazoga
beim Mittelfinger: Där hät a hääm treet
beim Ringfinger: Där is Bett gleet
beim kleinen Finger: Und där hät alls fertätschat [ausgeschwätzt/verraten]

Ein weiterer Vers, der heute nicht mehr gebräuchlich ist, aber vor hundert Jahren noch gerne gesprochen wurde, dürfte vermutlich aus der Weberei stammen. Zwei Kinder stehen sich gegenüber und ziehen ihre Hände hin und her. Dabei skandieren sie:

Wibera, wäbera, foffoffoff,
höt an Pfennig, morn an Pfennig,
höt an Krützer, morn an Krützer,
wibera, wäbera, foff.

Bubenspiele

Der Mundartdichter Edwin Nutt (1922–1991) stellte in einer 1985 erschienenen Festgabe für den Alt-Regierungschef Alexander Frick (1919–1991) unter dem Titel «Bubenspiele von gestern und vorgestern» eine Reihe von Kampf- und Geschicklichkeitsspielen vor, wie sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch häufig von Schulbuben ausgeübt wurden.

Nutt beschreibt es als ein Spiel, bei dem von einer Schar Buben versucht wurde, eine verbeulte Konservenbüchse mit ca. 1 Meter langen und massiven Holzprügeln in einem von mehreren frisch gegrabenen Löchern zu versenken.

Ein Spiel, bei dem es – vergleichbar mit dem irischen Hurling oder dem schottischen Shinty – ziemlich laut und «ruuch» zu und her ging und das oftmals mit der einen oder anderen «Schmuttera» (Bluterguss) oder «Flära» (Wunde) endete, war das «Saulocha», auch «Lochballa» genannt. Nutt beschreibt es als ein Spiel, bei dem von einer Schar Buben versucht wurde, eine verbeulte Konservenbüchse mit ca. 1 Meter langen und massiven Holzprügeln in einem von mehreren frisch gegrabenen Löchern zu versenken. Leo Jutz wiederum beschreibt in seinem «Wörterbuch» eine Vorarlberger Variante, bei der die «Sau», ein 30 cm langes Holzstück, aus einem Loch herausgeschlagen werden musste. So oder so ging es bei beiden Versionen knüppelhart zur Sache!

Bei einem weiteren von Nutt vorgestellten Spiel ging es weitaus weniger blutig zu und her, ausser, jemand stellte sich äusserst ungeschickt an: «Messerla». Voraussetzung für diesen Zeitvertreib unter zumeist Hüterbuben war der obligatorische Besitz eines «Sackmessers». Mit diesem Messer galt es veritable Kunststücke vorzuführen, die aus bis zu 20 verschiedenen Vorführ-Figuren bestanden. Der Einfachheit halber sei hier Edwin Nutt zitiert: «Die eigenliche ‹Kunst› des ‹Messerla› bestand darin, das auf die grosse Schneideklinge gestellte Messer von den Knien, den einzelnen Fingern, den Ellbogen, den Achseln, dem Kinn, der Nasenspitze, der Stirne und schliesslich vom Nacken über den Kopf mit den Händen so abzufedern, dass es nach ein- oder mehrmaliger Drehung in der Luft, mit de Klingenspitze voran, vor dem Spieler im Erdreich stecken blieb.» Alles klar? «Sieger blieb jener Spieler, dem alle Figuren gelangen.» Dabei wurde in der Regel um Geld, also um Rappen, gespielt.

Heutzutage wären Spiele wie «Saulocha» und «Messerla» kaum mehr denkbar. Beim «Messerla» stünde vermutlich recht schnell die Landespolizei auf dem Platz und beim «Saulocha» wäre es – wie es Edwin Nutt bereits vor 40 Jahren anmerkte – äusserst schwierig, ungestraft mehrere handtellergrosse Löcher auf einem öffentlichen Platz zu graben.

Spiele für alle

Allerdings mussten nicht alle Spiel grob und kämpferisch sein. Adulf Peter Goop listet in seinem Standartwerk zum «Brauchtum in Liechtenstein» eine ganze Reihe an Kinderspielen auf, die zum Teil auch heute noch gerne gespielt werden, sofern man es schafft, die Jugend vom «Geima» (Computerspiel spielen) wegzulocken. Hier ein Teil seiner Liste ergänzt durch weitere Spiele:

Kögilespeel, Fadaspeel, Singspeel, Blindekuh, Katz und Muus, Ox am Bärg, Dr Fux goot um, Wer förchtet sich ..?, Was söll das Pfand ..?, Fangetis, Räuber und Poli, Sautriiba, Ballschlaha, Völkerball, Seilzüha, Versteckis, Himmel und Höll, Gummitwist sowie eine ganze Reihe an Würfel- und Kartenspielen, auf die im nächsten Teil eingegangen werden wird.